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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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mittlerweile ebenbürtig war und ihn fraglos bald überragen würde. »Ihr seid der Stammhalter Eures Geschlechts«, fuhr der Geistliche fort, »Euer Stand trägt Verantwortung, denn er ist Vorbild. Euer anrüchiger Scherz findet vielleicht in den Kreisen eines Pinkepanks Anklang«, fuhr Hieronymus fort, während eine senkrechte Ader auf seiner Stirn mehr und mehr anschwoll, »aber er ist nicht standesgemäß. Ja, er ist un-an-ständig. «
    Die Wut, die in Hieronymus hochstieg und ihm die Brust zusammenpresste, hatte ihren Ursprung nicht in dem geschmacklosen Scherz dieses flügge gewordenen Jungen, sondern in Konrads Geringschätzung ihm gegenüber.
    Der junge Laurin kam eben nach seinem Vater. Stur wie ein Maulesel, keinem Kampf aus dem Wege gehend und so gläubig wie ein Kuhfladen. Konnte man dem Jungen etwa einen Vorwurf machen?
    Die Liebe, die Hieronymus für ihn empfand, wurde mit zunehmendem Alter Konrads immer weniger erwidert, bis sie irgendwann ganz ausblieb. Nur zu gern hätte Hieronymus die Seele dieses Jungen vor der ewigen Verdammnis bewahrt, aber Konrad von Laurin hatte seine Wahl längst getroffen.
    Isenhart räusperte sich, und der Geistliche lenkte seinen Blick auf den hageren Jungen. »Aber Schweine bestehen aus mehr als den vier Säften.«
    Dieser unheimliche Junge platzte vor Neugier und Wissensdurst. Isenharts schnelle Auffassungsgabe bereitete Hieronymus zuweilen Angst.
    Natürlich war Hieronymus in jener Hütte unten am Wald gewesen, in der sich all das abgespielt hatte, worüber Sigimund von Laurin zu sprechen verboten hatte.
    Ein Fremder hat das Kind zum Leben erweckt.
    Der Fremde.
    Wer mochte das gewesen sein? Wer besaß die Macht, Tote wiederauferstehen zu lassen? War der Fremde ein direktes Werkzeug Gottes?
    Auch die Rolle Walthers von Ascisberg in dieser ganzen Angelegenheit blieb im Dunkel. Warum hatte er den Säugling zur Burg Laurin gebracht? Weshalb sollte dieses Kind, das mehr wusste als sie alle – denn es war im Reich der Toten gewesen –, schreiben und lesen lernen?
    »Schweine bestehen doch aus mehr als vier Säften«, wiederholte Isenhart und riss den Geistlichen damit aus seinen Gedanken.
    Wieder begann die Ader auf Hieronymus’ Stirn zu pulsieren. »Wer bist du, dass du die Krone der Schöpfung Gottes mit Mastvieh vergleichen willst?«, polterte er.
    »Das will ich gar nicht, ich frage mich nur …«
    Dieses eine Mal knallte der Rohrstock nicht auf Isenharts Fingerkuppen, sondern auf die Kante des Pults, an dem er saß. Der Rohrstock zersprang mit einem trockenen Knall in zwei Stücke.
    Hieronymus war darüber nicht weniger verdutzt als Isenhart. Und über Konrads Lippen kräuselte ein Lächeln.
    Alle waren erstarrt.
    »Ich wollte nur …«, begann Isenhart erneut.
    »Schweig!«
    Jemand räusperte sich hinter ihnen, sie alle fuhren herum. Sigimund von Laurin stand im Eingang, mit dem Kopf deutete er eine Verbeugung in Richtung des Geistlichen an. Von Laurin trug einen Plattenpanzer, Isenhart erkannte ihn wieder. Chlodio hatte ihn gefertigt, er war ein Meisterwerk.
    Seit die Armbrustbolzen den Schutz, den ein Kettenhemd üblicherweise bot, mehr oder minder neutralisiert hatten, wie Walther sie gelehrt hatte, rüsteten jene, die es sich leisten konnten, auf. Der Plattenpanzer war daher nicht allzu verbreitet. Außerdem prallten die Bolzen zwar wirkungslos an ihm ab, aber sein Träger bezahlte die relative Unverwundbarkeit mit einem Mangel an Behändigkeit.
    Der Burgherr hatte sich einen Kinnbart stehen lassen, und ebenso wie Isenhart es schon bei Walther von Ascisberg bemerkt hatte, mischten sich die ersten feinen silbernen Haare darunter und ersetzten die grauen. Sie wurden alt. Von Ascisberg wirkte noch keineswegs gebrechlich, aber gewisse Bewegungen und Haltungen – etwa die linke, leicht hängende Schulter, die er mit den Jahren immer weniger verbarg – kündeten doch von körperlichem Verfall.
    Isenhart war das bei ihrem letzten Treffen aufgefallen. Walther von Ascisberg hatte ihnen eine Abschrift der taufrischen Übersetzung eines Buches mitgebracht, das von einem Franzosen verfasst worden war: Chretien de Troyes’ »Li Contes del Graal«, in dem es um einen gewissen Perceval ging. Konrad machte keinen Hehl aus seinem Desinteresse, also nahm Isenhart es in seine Obhut, für den es auch eigentlich bestimmt gewesen war.
    Sigimund von Laurin zählte bald 56 Lenze, er war schon lange kein Springinsfeld mehr. Aber er hatte Kraft, Konrad kam unübersehbar nach ihm,

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