Isenhart
sein können? Angesichts des Umstands, dass Walther auf der Suche nach einem Mörder das halbe Abendland durchquert hatte, hielt Konrad von Laurin diese Frage für beantwortet.
»Und er hat meinen Vater nicht angetroffen«, vermutete Isenhart.
Ibn Khamud deutete ein Nicken an, er lächelte sogar etwas.
»Mein Vater kam mit Ibn Al-Hariq von einem Kreuzzug nach Toledo und ließ sich hier nieder. Warum?«
Das Gesicht des Blinden war mit einem Mal von Enttäuschung gekennzeichnet. »Wenn Ihr Sydals Sohn seid, dann wisst Ihr die Antwort.«
Isenhart trieb die Furcht um, der blinde Alte könnte ihre Zusammenkunft jederzeit auflösen. Und womöglich keine zweite gewähren. Hunderte von Meilen hatten sie hinter sich gebracht, um hier die Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Es wäre Isenhart unerträglich gewesen, jetzt abgewiesen zu werden. Jetzt, so nahe vor dem Ziel. Also konzentrierte er sich in Gedanken auf das »Warum«.
»Der Basar des Wissens«, wisperte er.
»So ist es«, bestätigte Ibn Khamud, der ihm wieder zugewandt schien. So erzählte er ihnen von der Heimkehr Ibn Al-Hariqs, der hier Zuflucht beim Bruder seines Vaters, dem die Puente gehörte, gesucht hatte. Der Bruder war eine Woche zuvor verstorben, Al-Hariq daher der rechtmäßige Erbe. Und wie die beiden – Al-Hariq und Sydal von Friedberg – darin übereinkamen, die Puente zu einem Hort und einem Refugium der Wissenschaft zu machen.
Nur Eingeweihte sollten Zugang erhalten, man gab Losungen aus an die Freunde der Freunde, um auch jene mit einzubeziehen, die einem nicht sofort in den Sinn kamen.
Als Khamud die Losung erwähnte, richtete Isenhart die Augen auf Baba, der am Zugang des Atriums Position bezogen hatte. Baba deutete mit einem Lächeln ein Nicken an. Isenhart hatte beim Betreten der Festung auf die Frage, was sie hier verloren hatten, ihren Wunsch in Worte gefasst, Ibn Al-Hariq zu sprechen. Das war nicht die Losung gewesen. Also hatten Konrad und Isenhart nicht zu den Freunden der Freunde gehört. Jedes Wort, das Isenhart danach an Baba gerichtet hatte, war ohne Belang gewesen. Denn ihr Tod war bereits beschlossene Sache gewesen.
»Meinem Vater hat die Puente sehr viel bedeutet«, stellte er fest, um dann die Frage zu stellen, derentwegen er diese beschwerliche Reise angetreten hatte.
Aber der blinde Diener kam ihm zuvor, er nickte: »Sie war seine Erfüllung. Sie war die Bestimmung seines Daseins. Seines wie dessen von Ibn Al-Hariq.«
»Und warum verließ er sie dann? Warum wurde er zum Mörder?«
Das Gesicht des alten Mannes nahm einen bekümmerten Ausdruck an. »Wir haben von diesen Gerüchten gehört, damals. Walther von Ascisberg hat bezeugt, dass sie zuträfen. Leider. Mein Herr war bestürzt über diese Morde, ja, er fühlte sich mit verantwortlich für diese abscheulichen Taten.«
»Warum?«, fragte Isenhart irritiert.
Ibn Khamud atmete einmal tief durch. »Euer Vater und meinHerr haben viele Gespräche geführt, ich weiß noch, wie mir beim Zuhören schwindlig wurde. Sie sprachen vom Wind, wenn ich die Kammer verließ, um ihnen Wasser zu bringen. Kehrte ich nur wenige Augenblicke später zurück, widmeten sie sich einer mathematischen Frage, die plötzlich in astronomische Betrachtungen überging, sich von dort aus der Astrologie zuwandte, um dann in einer philosophischen Debatte zu münden. Ich hatte manchmal das Gefühl, sie brauchten niemanden sonst. Sie ergänzten sich aufs Trefflichste, es muss Allahs Wille und Wunsch gewesen sein, diese beiden seiner Geschöpfe zueinanderzuführen.«
»Aber wenn die beiden …«, unterbrach Isenhart, wurde von dem Diener Al-Hariqs aber seinerseits unterbrochen. »Wie Euer Vater immer sagte, steht die Geduld in tiefer Abhängigkeit zu ihrer Dauer oder, um es verständlicher auszudrücken, was er damals meinetwegen tat: Wenn sie schwindet, benötigt man sie am meisten.«
Ibn Khamud legte eine kurze Pause ein, während Isenharts beredtes Schweigen ihm vermittelte, dass er verstanden hatte. Der Blinde nickte kaum merklich, bevor er seine Erzählung wieder aufnahm: »Mein Herr war ein großer Denker und großer Arzt. Seine Schriften sind im Morgenland weit verbreitet, er genoss höchstes Ansehen. Eine Frage, die ihn aber zeit seines Lebens beschäftigte und letztlich unbeantwortet blieb, war die Frage nach dem Sitz der menschlichen Seele. Wo genau sie sich im menschlichen Körper befindet.«
Binnen eines Sekundenbruchteils war Isenhart alles klar.
Wozu das Herz?
Er hätte den
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