Isenhart
öffnete die Hand. Die Taube flatterte davon.
Konrad und Isenhart sahen dem Vogel hinterher.
»Ist das ein muslimischer Brauch?«, fragte Isenhart.
»Nein, wir benutzen sie, um Nachrichten auszutauschen.«
»Wie das?«, wollte Konrad wissen.
Baba erklärte ihnen, wo man die Nachricht anbrachte, wie man Tauben trainierte, wobei einem die Fähigkeit der Tiere zugutekam, immer ihren Heimatschlag zu finden, und dass schon Sultan Saladin im Kampf gegen die Kreuzfahrerheere Brieftauben eingesetzt hatte.
Isenhart fragte, ob er wohl zum Basar gehen dürfte.
Baba musterte ihn eingehend.
Nachdem sie sich und ihre Kleider gereinigt hatten, gewährte Baba ihnen den Zugang zum Basar des Wissens, der in der Tat nur aus dem bestand, was Isenhart am Vortag bereits gesehen hatte. Eine zwanglose Ansammlung von Gelehrten, die in Trauben beieinanderstanden und sich austauschten.
»Wenn die Erde die Gestalt einer Kugel hat«, sagte ein Jude zu einem Moslem, »wie kommt es dann, dass nicht alles, was nicht mit dem Boden verwurzelt ist, herunterfällt?«
»Weil es eine Kraft gibt, die alles zur Erde zurückwirft«, entgegnete der, »und wenn das, auf dem wir stehen, wirklich eine Scheibe ist, wie sieht die dann von unten aus?«
Niemand fragte nach seinem Stand oder woher er stammte, als Isenhart sich dazugesellte.
Wie nicht anders zu erwarten, langweilte Konrad sich außerordentlich. Die Männer hätten ebenso gut Maurisch sprechen können, es hätte für ihn keinen Unterschied gemacht. Und wenn er denn einmal etwas aufschnappte, was er verstand, interessierte es ihn nicht. Isenharts Augen dagegen glänzten, er hing den Gelehrten an den Lippen, kein einziges Wort ließ er sich entgehen, und als Konrad ihm sagte, er sehe sich etwas um, nickte er nur kurz.
Isenhart erfuhr von Ibn Sina, einem Moslem, der vor über hundert Jahren verstorben war und der den Qanun al-Tibb verfasst hatte, ein Universalwerk der Medizin, das im Abendland erst seit wenigen Jahren unter dem Namen Canon medicinae eine recht überschaubare Bekanntheit erlangt hatte.
Eine Gruppe von drei Gelehrten tauschte sich über Details des Qanun aus. Offenbar unterschied sich das den Christen vorliegende lateinische Werk in bestimmten Einzelheiten vom Original. In dem konkreten Fall ging es um das Kauterisieren.
Der Araber legte den beiden interessierten Medici dar, wie Ibn Sina, dessen lateinischer Name Avicenna noch über Jahrhunderte strahlen sollte, die Behandlung von Hautkrebs vornahm. Zunächst mussten die zu behandelnde Stelle und das Skalpell mit Alkohol desinfiziert werden, den Patienten betäubte man mit Mohnaufgüssen, anschließend sollte das erkrankte Gewebe komplett herausgeschnitten werden. Für die starken Blutungen, die bei so einem chirurgischen Eingriff zuweilen auftraten, empfahl Ibn Sina alias Avicenna das Kauterisieren, nämlich das Verschließen des blutenden Gewebes mittels glühenden Metalls oder ätzender Chemikalien.
Ein weiterer Christ, der zu ihnen trat, konnte sie darüber hinaus über die Hintergründe der Abweichungen aufklären. Gerhard von Cremona, der wie zahlreiche andere Gelehrte eigens nach Toledo gereist war, um arabische Schriften ins Lateinische zu übersetzen, hatte sich der Hilfe eines mozarabischen Burschen namens Ghablid bedient. Ghablid las den arabischen Satz des Kanons der Medizin, übersetzte ihn ins Kastilische und artikulierte ihn. Von Cremona wiederum hörte den kastilischen Satz, übertrug ihn im Geiste ins Lateinische und schrieb diesen Satz nieder.
Daher, so der dritte Christ, wichen arabisches Original des Qanuns und seine lateinische Übersetzung bisweilen in Detailfragen voneinander ab. »Aber«, fügte er mit einem Lächeln hinzu, »es gibt ja die Puente.«
Isenhart nahm schmerzlich wahr, dass er zum Basar nicht allzu viel beizutragen hatte, bei genauerem Hinsehen im Grunde gar nichts. Daher war er dankbar, als er erfuhr, von Cremona habe auch den Almagest übersetzt. Und zwar just hier in Toledo.
»Mein alter Lehrer hat diese Übersetzung«, sagte er mit einer Spur Stolz.
Die Blicke der anderen richteten sich auf ihn. Sie hatten Mienen aufgesetzt, als würden sie noch auf etwas warten. Einen gedanklichen Schluss oder einen zweiten Satz etwa, der Isenharts Feststellung zu einer interessanten Information würde reifen lassen.
»Er hat eine richtige Bibliothek«, fuhr er daher ermutigt fort, »mit insgesamt zwölf Büchern.«
Isenhart wusste, dass diese Anschaffungen Walther von Ascisberg ein Vermögen
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