Isenhart
Streifens dar. Aber das Prinzip war identisch, wie Isenhart annahm. Wie beim Durchmesser des Holzstabes benötigte er auch hier denSchlüssel, um aus einer beliebigen Aneinanderreihung von Lettern eine sinnvolle Kette von Buchstaben zu bilden.
Er starrte auf die Kolonnen an Buchstaben, mittlerweile im Licht einer Öllampe, denn inzwischen umfing die Dämmerung die Puente.
Das beste Versteck besteht darin, etwas offen liegen zu lassen.
Isenhart erinnerte sich sehr genau an die Überzeugung seines Mentors, doch an den Lettern auf dem Pergament vor ihm war nichts offensichtlich.
Um etwas zu begreifen, fasse es an. Ist es etwas, was du nicht anfassen kannst, ein Gedanke etwa, berühr es durch die Gesetzmäßigkeiten seines Wesens.
Damals waren es einfach nur Worte, die im Nebenraum der Kapelle in der Burg Laurin fielen. Weit entfernt von einem brauchbaren Nutzen. Worte eben, wie Konrad gerne anmerkte.
Berühr es durch die Gesetzmäßigkeiten seines Wesens.
Er unternahm als Nächstes das, was jedem sofort einfiel, der sich mit einem verschlüsselten Text konfrontiert sah – er las ihn rückwärts, was sich bereits nach wenigen Abschnitten als falsch erwies: fofnyye komkxgo fodsuef.
Da Isenhart keinerlei Erfahrung mit dem Codieren von Nachrichten besaß, überlegte er, welchen mathematischen Prinzips er sich bedienen würde, um eine wichtige Nachricht vor den Augen derer, für die sie nicht bestimmt war, zu verbergen. Zunächst verfiel er auf die Idee, ein Wort um eine bestimmte Anzahl von Buchstaben zu verschieben, womit die Anzahl den Schlüssel bildete, den man kennen musste. Nahm man Sophia und versetzte die Buchstaben um eine Stelle nach vorne, ergab sich Tpqikb (da das lateinische Alphabet über 23 Buchstaben verfügte und j nicht dazugehörte – ebenso wenig wie u und w , die durch v ersetzt wurden).
Isenhart wandte diesen Schlüssel auf Sydals Zeilen an ihn an. Aus dem ersten Wort entstand dadurch Yrypygx.
Ohne die Geduld zu verlieren, verschob Isenhart die Buchstaben nacheinander um die restlichen 22 Stellen, was allerdings auch keine verständlichen Wörter ergab. Zu seiner eigenen Verblüffung deprimierte ihn dieses Resultat nicht, sondern spornte ihn im Gegenteil an, ja, es bereitete ihm sogar eine gewisse Freude, immer intensiver um die Lösung des Rätsels zu ringen.
Möglicherweise hatte sein Vater einen sich verändernden Schlüssel angewandt, beispielsweise einen, der seine Anzahl der Stellen, die es zu verschieben galt, mit jedem neuen Buchstaben erhöhte, also den ersten Buchstaben um eine Stelle versetzte, den zweiten um zwei Stellen und immer so fort, bis es nach 23 Stellen wieder von vorne begann.
Xqxoxfv mutierte dadurch zu ysascmd. Verschob man dagegen den ersten Buchstaben um eine Stelle nach vorne, den zweiten um eine Stelle zurück und den dritten wieder nach vorne, ergab sich aus Xqxoxfv die Buchstabenfolge Ypyuyex.
Bis tief in die Nacht experimentierte Isenhart mit anderen Kombinationen, er wandte schließlich auch mathematische Operationen auf die Lettern an, die durch Additionen und Subtraktionen immer neue Wortgebilde hervorriefen, doch keines von ihnen ergab einen Sinn.
Die Flamme der Öllampe flackerte eine Weile, bevor sie erlosch. Ein dünner Rauchfaden stieg vom Docht auf. Isenhart legte das Pergament zur Seite und streckte sich aus. Seine Gedanken lösten sich von der verborgenen Nachricht und glitten hinüber nach Heiligster. Wie mochte es den anderen inzwischen ergangen sein? Waren sie wohlauf? Isenhart realisierte, dass er sich zwang, im Plural zu denken, denn im Grunde drehten seine Fragen sich nur um Sophia.
War sie nun doch glücklich, den Bund der Ehe eingegangen zu sein? Sicherlich ermöglichte Reimar von Vogt ihr ein Leben, das dem in der Burg Laurin mehr glich als jenes oftmals entbehrungsreiche Landleben in Heiligster. Eines, das ein wenig ihrem adligen Stand entsprach. Isenhart verfluchte sich, sie abgewiesen zu haben. Und mit ihrem Bild vor seinem inneren Auge, das sich nicht verscheuchen ließ, schlief er ein.
Als sie am späten Vormittag erwachten, verspeiste Konrad zwei Orangen und ließ sich von Isenharts Versuchen, die Nachricht seines Vaters zu entschlüsseln, berichten. Anschließend traten sie vor das Haus der Gäste und trafen auf Baba, der eine Taube in derrechten Hand hielt, die keinen Versuch unternahm, sich seinem Griff zu entwinden.
»Ah, Taube«, sagte Konrad, »hatten wir schon lange nicht mehr.«
Baba nickte, riss den Arm hoch und
Weitere Kostenlose Bücher