Isenhart
unfrei bezeichnen konnte, musste er doch stets auf der Hut sein, und den Ort seiner Kindheit und Jugend konnte er nur unter dem Einsatz des eigenen Lebens aufsuchen.
Isenhart mochte sich gar nicht ausmalen, was alles passieren konnte. Was, wenn einer von ihnen verletzt wurde? Und es war unmöglich, sich unter Babas Schutz zu stellen, nachdem sie fünf Männer getötet hatten. »Also gut«, sagte er.
Eine Stunde später ereiferten die beiden sich in einem Streit mitten im Hof, an dessen Ende Isenhart die beiden Pferde mit sich nahm und fluchend die Puente verließ. Baba, dem er am Tor begegnete, wollte noch mit ihm reden, aber Isenhart schlug jedes Gespräch aus. »Mein Herr glaubt mir nicht«, sagte er zum Hüter der Puente,»Wilbrand von Mulenbrunnen wird ihn töten. Oder töten lassen. Hier, in den Mauern der Puente.«
»Das wird er gewiss nicht«, versicherte Baba.
Isenhart wog das Haupt vage hin und her, um Babas Entgegnung in Zweifel zu ziehen. »Ihr werdet es erleben. Aber – ich will nicht mit Euch streiten zum Abschied. Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft«, verabschiedete Isenhart sich, dem man seine Waffen am Haupttor wieder aushändigte, und ritt davon.
Wilbrand von Mulenbrunnen war niemand, der parierte. Reaktion war nicht sein Metier. Er griff an, er wagte den Ausfall, und er würde auch heute Nacht die Initiative ergreifen und einen gedungenen Mörder in Konrads Kammer schicken.
Was Isenhart aber am meisten zu denken gab, war der Umstand von Wilbrands Anwesenheit in Toledo an sich, insbesondere seine Kenntnis der Puente. Was hatte der Abt von Mulenbrunnen ausgerechnet hier verloren? Hatte er seinen Vater gekannt? Waren sie vielleicht sogar Freunde gewesen?
Aber selbst wenn sie einander nie getroffen hatten, war es für einen Besucher des Basars des Wissens nahezu unmöglich, nicht mit den Namen Sydal und Al-Hariq konfrontiert zu werden.
Isenhart fragte sich, ob noch eine weitere Schnittmenge existierte. Doryläum etwa? Sein Vater war ebenso dort gewesen wie Sigimund von Laurin, Ibn Al-Hariq und auch Michael von Bremen. Auch der Abt?
Er führte die Pferde unter einen Felsvorsprung, der ihnen genügend Schatten spendete. Der befand sich nur noch einen Steinwurf vom Tajo entfernt, und vom Sandweg aus versperrte das rötliche Gestein den Blick auf die Pferde. Der Platz schützte sie ebenso vor Hitze wie vor neugierigen Blicken. Nachdem er die Tiere im Fluss getränkt hatte, band er sie an einen verdorrten Baumstumpf.
Er überlegte, inwiefern Wilbrand von Mulenbrunnen mit dem Mord an Anna – und vielleicht auch an Lilith und Ketlin – in Verbindung stehen mochte. Alexander von Westheim hatte behauptet, den Bernstein von dem Abt erhalten zu haben. Dann hätte Wilbrand von Mulenbrunnen schon 1191 vom Sitz der Seele wissen müssen, kombinierte Isenhart.
Babas Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, aber kurz nach Mitternacht lösten sich zwei Gestalten aus den Schatten, die das fahle Licht des Halbmonds im Arkadengang erzeugte. Ebenso zügig wie leise bewegten sie sich barfuß über die schweren Steine, die von der Sonne so aufgeheizt worden waren, dass sie selbst jetzt noch Wärme abstrahlten.
Die beiden Männer machten sich an der Tür jener Kammer zu schaffen, in der Konrad von Laurin nächtigte. Genau das, was der Untote prophezeit hatte.
Zwei gekrümmte Finger Babas genügten, und schon sprangen er und zwei seiner Gefolgsleute von den Arkaden zwischen die beiden Männer.
Darelcante hatte sein Vater jenes kleine Instrument genannt, das nach seinen Vorgaben geschmiedet worden war. Es bestand aus einem länglichen Stück massiven Metalls, so dick wie ein Finger und eine Handbreit lang. Aus diesem erwuchs ein metallischer Dorn, der zwischen dem Zeige- und Mittelfinger der geschlossenen Hand hervorlugte.
»Darelcante« bedeutete so viel wie »ins Auge springen«. Und genau dorthin beförderte Baba den Dorn, ins rechte Auge des vorderen Mannes, den er in seiner Bewegung des Herumwirbelns abpasste. Der Darelcante durchbohrte ohne nennenswerten Widerstand die Pupille, um im Hirn zu landen und ihn auf der Stelle zu töten. Das Herausziehen des Dornes und der seitliche Ausfallschritt waren ein und dieselbe Bewegung, Gleichmäßigkeit und Eleganz reichten einander die Hand. Die Achtsamkeit des Hüters der Puente entbehrte allerdings jeder Dringlichkeit. Seine beiden Begleiter hatten den zweiten Mann zeitgleich getötet.
In der Puente war der Gast unantastbar, das war der Wille Ibn
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