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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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hatte.
    Sie banden die Hufe mit Stoff ab und befestigten Sträucher an den Sätteln, die die Pferde hinter sich herzogen. Das Blattwerk der Sträucher verwischte ihre Spuren.
    Würde Baba sie immer noch töten wollen, wenn er auf sie träfe – hier bei Toledo? Sein erster Zorn mochte verraucht sein, und Isenhart war – Konrad merkte es leise an – immerhin der Sohn einer der Gründer der Puente. Und da war ein weiterer Aspekt, fügte Isenhart in Gedanken hinzu. Der Umstand seiner Geburt war für die Mauren offenbar von Bedeutung. Er hatte in ihren Gesichtern, ihren Blicken eine unbestimmte Furcht gelesen. Vielleicht war er in ihren Augen ein wandelnder Toter, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte. Möglicherweise würden sie ihn daher verschonen, wenn sie ihn aufgriffen. Doch dann wäre zumindest Konrads Schicksal ungewiss.
    Sie umgingen Toledo und füllten in der Dämmerung ihre Lederschläuche mit dem Wasser des Tajo auf, den sie nun hinter sich ließen.
    »Baba weiß, dass wir auf das Wasser angewiesen sind«, hatte Isenhart dem Freund erklärt, »deswegen wird er nur den Fluss absuchen.«
    Das leuchtete Konrad sofort ein, und sie schlugen sich nach Osten. Bald schon bildeten sich wieder die kleinen Seen, die flimmernd kamen und ebenso wieder verschwanden. Wieder und wieder blickten sie sich um, suchten ihre Augen die Richtung ab, aus der sie gekommen waren – von Baba und seinen Männern war nichts zu sehen, überhaupt bekamen sie am zweiten Tag nichts anderes zu Gesicht als eine dürftiger werdende Flora aus Stauden und Bodenflechten.
    Daran änderte sich auch am darauffolgenden Vormittag nichts. Obwohl sie ihre Situation noch nicht als kritisch betrachteten, wandten sie sich nach Norden, wo sie irgendwann, ritten sie nur weit genug, erneut auf einen Fluss stoßen mussten.
    Am Nachmittag passierten sie einen verdorrten Baum. Es war seit Stunden das einzige Gewächs, das sich über einen Fuß Höheerhob. Aber vor der sengenden Augustsonne bot er ihnen keinen Schutz. Kein Baum spendete ihnen Schatten, kein Felsvorsprung. Ihre Lippen sprangen auf, die Bewegungen der Pferde wurden mit jedem Schritt matter, bis Konrad und Isenhart absaßen und neben ihnen hergingen. Der Schweiß lief ihnen die Wirbelsäule hinab, die Hitze drang ihnen beinahe schmerzlich in Nase und Mund, und wenn endlich eine Brise über ihre Haut strich, war der Wind warm.
    »Willst du ihn suchen?«, fragte Konrad und blinzelte gegen die Sonne.
    Isenhart musste nicht nachfragen, wen sein Freund damit meinte. Aber es war nichtsdestotrotz eine interessante Frage, denn er wusste sie nicht zu beantworten. Was, wenn sein Vater gegen jede Wahrscheinlichkeit noch am Leben war, wenn er ihm begegnete?
    All das schoss ihm nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Das, worum er sich aber im Kern sorgte, war die Möglichkeit, sich zu Sydal von Friedberg hingezogen zu fühlen. Denn dessen Drang nach Wissen und Erkenntnis teilte er aus tiefstem Herzen, was ihn alle – weltliche wie geistliche Autoritäten – verabscheuen ließ, die ihm den Zugang dazu verwehren wollten.
    Wer Wissen als Gefahr einstuft, ist selbst eine. Walthers Worte.
    Andererseits konnte Isenhart es zwar nicht in Form einer Kausalkette beweisen, aber er hätte Stein und Bein schwören können, dass die Taten Michaels von Bremen ohne die Morde Sydals von Friedberg nicht denkbar waren. Auch ohne das Zwingende der Logik erschien es ihm als höchst unwahrscheinlich, dass zwei Männer unabhängig voneinander der Idee verfallen sein sollten, Jungfrauen zu ermorden, um ihnen das Herz aus dem Torso zu schneiden. Es musste einen Zusammenhang zwischen ihnen geben. Laut Walther hatten beide bei Doryläum gekämpft. Mehr noch: Isenharts Vater hatte Michael von Bremen das Leben gerettet. Ganz gleich, ob das Verspeisen des fremden Herzens ursächlich für von Bremens Genesung gewesen war oder er aus eigener Kraft überlebt hatte, auf jeden Fall musste er annehmen, dass Sydal von Friedberg sein Lebensretter gewesen war.
    Und nachdem Sydal von Friedberg und Ibn Al-Hariq im Streitauseinandergegangen waren, begann sein Vater zu töten. Walther hatte ihm, wie er behauptet hatte, Einhalt geboten, etwa neun Monate nach Isenharts Geburt. Der nächste Mord an einer Jungfrau, von dem Isenhart wusste, war jener an Anna gewesen. Siebzehn Jahre, nachdem Walther Sydals Treiben angeblich ein Ende bereitet hatte.
    Wie Isenhart nun erfahren hatte, war sein Vater 1189 noch am Leben gewesen. Wenn Michael

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