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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Blick hinabwarf, wusste er auch, warum: Der Brunnen führte zwar Wasser, aber das lag gute zwanzig Fuß tiefer.
    Isenhart schluckte. Aber dann ging er zu dem zweiten Toten, dem nur noch einige Fleischreste an den Knochen klebten, zog ihm das Leinen mit dem Kreuz über den glänzend weißen Schädel und begann damit, die Fasern aufzutrennen. Konrad, der begriff, was Isenhart vorhatte, ging ihm dabei zur Hand. Er befestigte einen der Lederschläuche an den Leinenfasern. Stumm verrichteten sie ihre Arbeit, und mit der Hoffnung kehrte auch die Kraft zurück, die sich in dem Willen manifestierte, nicht klein beizugeben. Nicht hier, nicht heute, nicht ohne noch einmal Heiligster gesehen zu haben.
    Der erste Lederschlauch, den sie an Leinenfasern gesichert hinabwarfen, wollte nicht unter den Wasserspiegel sinken und nahm daher auch kein Nass auf. Der zweite, den sie mit einem Stein beschwerten, ließ den Strang aus Leinen reißen und ging unter.
    Isenhart stützte sich auf den steinernen Rand des Brunnens. Hier, nur wenige Höhenfüße vom Wasser entfernt zu sterben, war beileibe nicht ohne eine gewisse Ironie. Dieser Brunnen sortiert die Dümmeren aus, dachte er. Natürlich konnten sie auf die Knie gehenund beten. Beten, der Herrgott möge den Wasserpegel steigen lassen oder sie beide zu einem nahe gelegenen Fluss leiten. Oder auf ein Lager saftiger Orangen stoßen lassen.
    »Herr«, hörte er neben sich und wandte sich um, »Herr, verschone uns vor einem frühen Tod.« Konrad hatte die geschwollenen Hände gefaltet, den Blick aber nicht zum Himmel erhoben, wo mittlerweile ein Dutzend Gänsegeier kreisten, sondern demütig auf den staubigen Boden.
    Asche zu Asche, Staub zu Staub.
    Über ihnen krächzten die Aasfresser, die von Geburt an, wie Isenhart vermutete, jene immer gleichen Muster in dem Verhalten, insbesondere den Bewegungen sterbender Kreaturen zu werten gelernt hatten.
    Und das war ihre Rettung. Oder besser gesagt: Die Intelligenz der Kolkraben war es.
    Isenhart erinnerte sich an eine Begebenheit im Sommer vor ihrer Abreise, als sie sich während der Jagd nach einem Wildschwein, das ihnen letztlich entging und durch Bärlauchsuppe auf dem Abendtisch ersetzt werden musste, weit vom Rhein entfernt hatten. Während Konrad und er im Schutz eines Gebüschs und gegen die Windrichtung auf die Beute lauerten, landeten Gweg und Dolph neben einem verdorrten Strauch, dessen kräftigster Zweig etwa zwei Daumenbreiten maß. Der Zersetzungsprozess hatte den Zweig ausgehöhlt, sodass sich Regenwasser in der schmalen, hölzernen Röhre angesammelt hatte.
    Pfützen waren ausgetrocknet und der Rhein weit – außerdem: Wer garantierte den Raben ihren Anteil an der Beute, wenn sie sich möglicherweise am Fluss aufhielten, während die ungefiederten Zweibeinigen etwas erlegten? Sie waren also gezwungen, in der Nähe zu bleiben.
    Mit einiger Verwunderung nahm Isenhart wenige Augenblicke später wahr, wie erst Dolph und dann auch Gweg kleine Kieselsteine zu dem hohlen Zweig trugen, mit ihren dünnen Beinen Schlusssprung um Schlusssprung vollziehend, bis sie über der Öffnung standen – und den Kieselstein in den Hohlraum plumpsen ließen.
    »Was treiben die da für einen Schabernack«, fragte Konrad leise, »haben sie ihr kleines bisschen Verstand verloren?«
    Isenhart schüttelte den Kopf: »Ganz im Gegenteil.«
    Nachdem er Konrad erklärt hatte, dass ein Kieselstein das Wasser nach oben verdrängen und es den beiden Kolkraben so bald erlauben würde, ihre Schnäbel zu benetzen, teilte der Isenharts Verblüffung.
    »Aber das behalten wir für uns«, fügte Isenhart hinzu.
    Eine weitere Erklärung war nicht nötig, Konrad wusste auch so, wer gemeint war. Hieronymus hatte sich zwar an die Anwesenheit der Vögel gewöhnt, aber bei ihrem »Amen« zuckte er immer noch unwillkürlich zusammen.
    Über anderthalb Stunden lang, eine Zeitspanne, von der sie niemals geglaubt hätten, sie noch überleben zu können, warfen sie alles an Steinen, dessen sie habhaft werden konnten, in den Brunnen. Mit einer Langsamkeit, die ihnen alle Beherrschung abverlangte, stieg Brocken um Brocken der Wasserpegel. Schließlich hielt Konrad Isenhart an den Füßen fest, der sich seinerseits kopfüber in den Brunnen streckte und einen der Lederschläuche füllen konnte.
    Sie teilten sich das modrige Wasser, und es mutete wie die süßeste Quelle überhaupt an. Eine weitere halbe Stunde, in der sie mit aufgerissenen Fingern und schmerzendem Rücken Steine in

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