Isenhart
seine Stimme nicht brechen zu lassen.
Zolner hob den Blick, er wollte etwas erwidern, wurde aber von einem unterdrückten Schluchzen abgelenkt. Es war Cecilia, die im Schatten des Vordachs Tränen auf ihren riesigen Busen vergoss. »Mitte April«, antwortete er dann.
»Anderthalb Monate nur«, kam es schleppend und kaum vernehmbar über Isenharts Lippen, »wären wir nur sechs Wochen früher hier gewesen.«
Er hatte angenommen, dass ihn der Grad des Schmerzes, den er bei Annas Verlust erlitten hatte, nur noch zweimal im Leben ereilen konnte – sollten Konrad und Sophia eher als er selbst zum Herrn befohlen werden. Trotz der Intensität des Schmerzes hatte diese Sicht der Gegebenheiten eine gewisse Überschaubarkeit garantiert. Er wusste, was eines Tages anstehen würde, er war vorbereitet.
Das galt auch für Walther von Ascisberg, den er schätzte, achtete, bisweilen bewundert hatte und für den er trotz ihrer Differenzen kurz vor Isenharts Aufbruch nach Toledo stets eine tiefe Zuneigung empfunden hatte. Ein unverbrüchliches Band. Denn obwohl Chlodio ihm zu essen und trinken gegeben und ihn gezüchtigt hatte, obschon Hieronymus ihm das Lesen und Schreiben gelehrt hatte, war es doch letztlich von Ascisberg, der das Feuer in ihm erkannt, geschürt und gefördert hatte, ja, Walther von Ascisberg war es, der ihn erzogen hatte. In jener wohl austarierten Mischung aus Sorgfalt, Unnachgiebigkeit, Weitsicht und Humor, wie ein Schüler sie sich nur wünschen konnte. Oder ein Sohn.
Und falls Isenhart nicht durch schwere Krankheit, einen Unfall oder durch eine Auseinandersetzung im Zuge seiner Tätigkeit als Wachmann ums Leben kam, würde Walther als Erster von ihnen vor ihren Schöpfer treten. Über diesen Umstand hatte bei Isenhart sehr früh Klarheit geherrscht, er hatte ihn bereits betrauert, als er an der Seite seines Mentors den Rückweg vom Wasserrad antrat.
Aber die Gewissheit, Walther werde ins Paradies übergehen, wo sie sich alsbald treffen würden – in Anbetracht des Alters eines Sterns war ihre Lebensspanne nicht mal ein Augenzwinkern –, vermittelte ihm Trost. Damals. Als das Paradies noch sicher war.
Nach Annas Tod wurde der Trost des Gläubigen durch den derRatio verdrängt. Sollte es kein Wiedersehen geben, dann blieb wenigstens noch die Zeit des Abschieds. Isenhart war fest entschlossen gewesen, alles, was noch zu sagen war, zur Sprache zu bringen. Er empfand es als seine Pflicht, Walther auf diesem letzten Gang ein fürsorglicher Begleiter zu sein.
Beides blieb ihm versagt. Kein Abschied, keine Gespräche, keine im Augenblick des Todes gehaltene Hand.
Walther von Ascisberg war einfach aus dem Leben gerissen worden. Aus seinem eigenen und dem Isenharts. Und darauf war er nicht vorbereitet gewesen.
Zolner war untröstlich. Immer wieder hatte er Walther von Ascisberg beschworen, sich nicht ohne Begleitung auf den Weg nach Spira zu machen.
»Oha, eine Meile. Und das bei Tageslicht«, hatte der alte Herr gespottet, »was macht es wohl für einen Eindruck, wenn du neben mir herreitest? Alle Welt müsste annehmen, ich sei ein alter, gebrechlicher Mann!«
Zolner hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm zu bedeuten, dass er genau das war. Ein alter, gebrechlicher Mann. Ein heller Geist, sicher, aber einer, dem Arthrose und nachlassende Sehkraft immer engere Zügel anlegten. Ein Mann, dessen Würde durch unauffällige, hilfreiche Handgriffe eines geschickten Dieners um keinen Fingerbreit geschmälert worden wäre.
Aber Walther war eben Walther, er ritt alleine und verbat sich jede Sorge um seine Person. »Der Herr ist allwissend und allmächtig, Zolner«, hatte er gesagt, als er Tutenhoven das letzte Mal verließ, »mein Schicksal liegt ohnehin in seiner Hand.«
Isenhart wurde schwer ums Herz, als Zolner ihnen davon berichtete, denn Walther von Ascisberg war keineswegs so unbekümmert gewesen, wie er Zolner glauben machen wollte.
Der Glaube an ein Schicksal ist der Glaube daran, im Leben nichts ausrichten zu können. Es führt dazu, dass kluge und kräftige Männer die Hände in den Schoß legen, statt Kopf und Herz in die Waagschale zu werfen.
Walther war bei diesen Worten in der Burg Laurin wütend auf und ab geschritten. Seiner Miene nach zu urteilen, fasste er denGlauben an das Schicksal, an den vorherbestimmten Weg der Dinge, als persönliche Beleidigung auf.
»Aber Gott ist doch allwissend und allmächtig«, wandte Konrad ein, er mochte damals dreizehn Jahre alt gewesen sein, vielleicht
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