Isenhart
Gras lag, umschwirrt von emsigen Insekten.
»Später«, vertröstete Isenhart ihn. Er erwähnte nichts von seinem Wunsch, mit Walthers Zeilen alleine sein zu wollen. Er hoffte einfach, Konrad würde auch so verstehen, und er irrte nicht.
Am späten Nachmittag saß Konrad von Laurin auf, Isenhart begleitete ihn bis zur Wegbiegung. Dort hielten sie inne, um einander zu mustern.
»Ich denke, du weißt es längst«, ergriff Isenhart das Wort, »aber Gewissheiten sind selten, und wenn wir mal einer habhaft werden, dann sind sie nie von Dauer. Deshalb möchte ich es dir sagen. Diese Reise nach Toledo, zur Puente …«
»Sag es nicht«, unterbrach der junge Laurin ihn, »ausgesprochen erscheint das edelste Gefühl profan.«
»Du siehst mich erstaunt.«
»Nicht meine Worte«, grinste Konrad, »Baba hat das gesagt.«
»Ein Maure, Konrad«, tadelte Isenhart ihn mit einem spielerischen Lächeln.
»Auch ein Maure kann über einen guten Gedanken straucheln. Wenn die Beine eines Moslems auch sonst zu nichts gut sind.«
Die Schlagfertigkeit seines Freundes überraschte Isenhart nun tatsächlich. Sie tauschten einen langen, offenen Blick.
»Ich habe nie vergessen, wer mir am Todestag meiner Eltern das Leben gerettet hat«, sagte Konrad dann, »aber das war nicht der Grund, weshalb ich mit nach Toledo gekommen bin.«
»Sondern?«
»Ich wollte, dass du uns nicht verloren gehst.«
Konrad von Laurin wartete die Reaktion Isenharts gar nicht mehr ab, er trabte einfach los, entfernte sich ohne ein weiteres Wort, ohne sich umzuschauen, einfach eine Gestalt auf einem Pferd, die langsam kleiner wurde.
Isenhart sah ihm noch nach, als Konrad aus seinem Blickfeld verschwunden war. Erst dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zurück zum Gehöft. Was es nun zu klären galt, duldete keinen Aufschub.
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30.
ieses Mal verhält es sich andersherum.
So begann die Nachricht, die Walther von Ascisberg Isenhart hinterlassen hatte. Er hatte sie nicht auf Latein geschrieben, sondern auf Deutsch. Die Schriftzeichen waren klar, die Tinte verschwamm nur wenig in den feinen, gepressten Verästelungen des Pergaments.
Üblicherweise hat der Lehrer schon jenen Pfad betreten, über den er seinen Schüler führt. An dem Ort aber, an dem ich jetzt bin, warst du vor mir.
Isenhart war, als höre er mit jedem Wort, das er las, Walthers Stimme. Und erst jetzt, im Nachhall, bemerkte er, dass sich die Stimme seines Mentors im Alter nicht verändert hatte. Sie war nicht ins Knorrige oder Heisere umgeschlagen. Ebenso wie seine Augen, die zwar in ein feines Netz aus Falten eingebettet gewesen waren, hatte sich Walthers Stimme ihre jugendliche Frische bewahrt.
Isenharts Augen schweiften zum oberen Rand: Im Jahre des Herrn 1197 . Walther hatte diese Schrift also während ihrer Abwesenheit verfasst.
Ich weiß nicht, ob Dein Vater noch am Leben ist. Ich habe gehört, er sei in Konstantinopel gewesen und Aleppo. Und natürlich in der Puente. Wie du sicher in der Puente erfahren hast, habe ich ihn nicht getötet. Nichtsdestotrotz verfolgte ich ihn zu genau jenem Zwecke. Und auch, wenn ich es letztlich nicht tun konnte, so ist es doch eine Wahrheit. Nur eine, die nie in die Tat umgesetzt wurde.
Nicht tun konnte? Was meinte er damit? Isenhart strich sich mit einer unbewussten Handbewegung über den Kopf. Cecilia und Zolner hatten ihn in einen Bottich verfrachtet, ihm die Haare geschnitten und ihn rasiert. Die Haare waren so verfilzt gewesen, dass Zolner das Messer einen Daumen breit über der Kopfhaut hatteansetzen müssen. Zumindest behauptete er das, wobei er unangemessen belustigt dreinschaute.
Die Haarstoppel riefen ein leichtes Kitzeln auf Isenharts Handinnenfläche hervor, als er über seinen Schädel strich. Er lag auf der Bettstatt, die Walther von Ascisberg sich in seiner Arbeitskammer eingerichtet hatte. Das Leinen darauf roch noch immer nach ihm.
In keines Menschen Leben habe ich mehr eingegriffen als in Deines. Es geschah nicht, um Dich zu lenken und von außen zu bestimmen. Ich tat es, um Dich vor Deinem Vater zu schützen. Und noch viel wichtiger: vor seinen Gedanken. Sowohl Dein Vater als auch ich haben Dir nach Deiner Geburt etwas von unserer Seele eingehaucht. Ich war mir nicht sicher, zu welcher Seite Du tendieren würdest. Also habe ich das Meinige in die Waagschale geworfen, damit Du zumindest gewappnet bist, wenn Du seinen Gedanken das erste Mal begegnest.
Denn Sydal von Friedberg und seine Denkgebäude üben einen
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