Isenhart
leichtes Lächeln, als Konrads leerer Magen diese Glaubensfrage binnen weniger Augenblicke beantwortete und der junge Laurin sich den Bauch vollschlug.
Freilich mit jener christlichen Schuld im Nacken, konstatierte Isenhart, die bereits den Neugeborenen die Erbsünde in die Wiege legte. Die einem Wesen, das soeben das Licht der Welt erblickt hatte, als Erstes ein schlechtes Gewissen für Taten antrug, die es nie begangen hatte.
»Was bedeutet Itryah?«, fragte Konrad.
Ihr Gastgeber deutete ein Achselzucken an.
»Vielleicht bedeutet es in dünne Streifen geschnittener Fladen «, scherzte Konrad und brachte damit vor allem die Kinder zum Lachen. Er konnte nicht ahnen, dass er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
Isenhart sollte noch oft an diesen Abend zurückdenken.
Wie Isenhart schon in Milano zu bedenken gegeben hatte und was von Marco Ray und Konrad geflissentlich übergangen wurde – Konrad wollte endlich zurück nach Heiligster, Signor Ray war viel zu ungeduldig, um den Winter abzuwarten –, war an eine Überquerung der Alpen zu dieser Jahreszeit nicht zu denken.
Als sie Birizona erreichten, waren die Pässe bereits von Schneemassen blockiert. Da Isenhart und Konrad ihrem Begleiter von ihren Strapazen auf dem Herweg berichteten und die Einwohner Birizonas Signor Ray versicherten, er ginge in den sicheren Tod, wenn er sich nicht bis zum Frühjahr gedulde, fügte dieser sich schließlich in das Unvermeidliche.
Vier Monate verbrachten sie in dem kleinen Ort.
Signor Ray unterwies Isenhart in einem Spiel, von dem dieser schon einmal gehört hatte: Schach. Das Spiel der Könige. Nach drei Tagen gewann Isenhart das erste Mal gegen Marco Ray, der Isenharts unerwarteten Erfolg mit einem jovialen Lächeln quittierte.
»Sehr gut«, sagte er nach seiner zweiten Niederlage, »ich war ein wenig unachtsam.«
Ab dem zehnten Tag gewann Signor Ray kein Spiel mehr gegen den schmalen Burschen mit der schnellen Auffassungsgabe. Und nach zwei Wochen verlor er ganz die Lust.
Zudem fiel Konrad erst den beiden und dann ganz Birizona auf die Nerven, indem er bei jeder sich bietenden Gelegenheit alles in Butter sagte.
So war es für alle ein Aufatmen, als sie am 13. März 1197 endlich aus Birizona aufbrechen konnten.
Erst im Blick zurück wird offenbar, wer den Verlauf unseres Lebens bestimmt hat, der freie Wille oder der Zufall.
Walther von Ascisberg hatte das gesagt, und das Lächeln, das seine Worte begleitete, hatte zweierlei Väter: Belustigung und tief empfundene Demut. Während man sich im Glauben befand, Herr seines Lebens und seiner Entscheidungen zu sein, erlangte man erst mit dem Abstand zu seinem früheren Selbst zu der Erkenntnis, dass der freie Wille lediglich in jenem engen Raum agierte, den der Zufall ihm überlassen hatte.
Isenhart mochte das damals nicht glauben, es gab noch nicht allzu viele Lebensjahre, die er einem analytischen Blick unterziehen konnte. Außerdem lehrte Walther sie seine Überzeugung, als Isenhart sich nach Anna verzehrte. Zu einer Zeit also, da er sich unsterblich wähnte, zu wissen meinte, wie die Welt funktioniert, und davon überzeugt war, dass Gott und sein freier Wille sein Schicksal bestimmten und nicht eine diffuse Aneinanderreihung von Zufällen.
Aber als er mit Marco Ray und Konrad auf der Hälfte der Strecke den Vogelberg hinter sich ließ, begriff er die Wahrheit von Walthers Sentenz. Möglicherweise – und Isenhart meinte ein sehr wahrscheinliches Möglicherweise – hätte er sie nie begriffen. Hätte den Sinn hinter den Zeichnungen seines Vaters nie erkannt. Wenn ihmnicht ein Zufall – ein höchst unwahrscheinlicher – in die Hände gespielt hätte.
Die Schneeflocken umtanzten ihn und seine beiden Begleiter, der Frost hatte ihre Haare, die unter den Decken vorlugten, weiß gefärbt. Weiße Brauen, weiße Bärte. Sie wirkten auf den ersten Blick wie drei alte Männer mit jungen Augen.
In dieser Kälte, die ihnen beim Einatmen wie ein metallischer Schmerz in die Nasen fuhr, mitten in dieser menschenfeindlichen Landschaft begriff Isenhart etwas von der unerhörten Fragilität des Seins.
Denn an ihrem ersten Abend in Milano hatte sich jener Zufall ereignet, der die entscheidende Wendung einläutete.
Sie waren nach dem Essen auf die Tür zu der Kammer zugeschritten, in der sie nächtigen sollten, Konrad voran, als Isenhart aus den Augenwinkeln sah, wie zwei der vielen Kinder in ihre Holzbecher grinsten.
Konrad trat in den Raum und erschrak. In der
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