Isenhart
Ein säuerlicher Geruch umwehte die Urkunde, die Zolner ihm hinhielt. » Du bist der neue Herr. Tutenhoven gehört dir, Isenhart.«
Wenn man bedachte, dass er als ein mittelloser, toter Bastard geboren worden war, hatte Isenhart sich mit der Erbschaft Tutenhovens um ein Vielfaches verbessert. Mit einem einzigen Schlag war er vermögender als ein Konrad von Laurin, dessen Adelstitel sich auf eine Burg gründete, die er nicht einmal betreten durfte. Plötzlich zählte Isenhart qua seinem Besitz zum niederen Adel.
Das manifestierte sich zuallererst in Zolners Wechsel von der zweiten Person Singular zur zweiten Person Plural. »Ihr könnt Euch jetzt nach weltlichem Recht und mit Gottes Segen und auch dem Segen der Heiligen Kirche Isenhart von Tutenhoven nennen.«
Dieser Titel stand Isenhart in der Tat aufgrund seines neuen, umfangreichen Besitzes zu.
»Ich glaube, Walther von Ascisberg befindet sich jetzt an einem Ort, von dem aus er uns sehen kann und auch hören«, antwortete Isenhart ruhig, und tatsächlich hoben Konrad, Zolner und Cecilia, die Zeigefinger und Daumen auf die Nasenflügel presste und noch einmal schniefte, die Blicke gen Himmel, »und ich glaube außerdem, dass er großes Verständnis dafür hätte, wenn ich mich nach meinen Wurzeln benenne: Isenhart von … Laurin.«
Zolner tat nicht einmal so, als würde er für diesen groben Undank Verständnis aufbringen. Es kursierten ohnehin ein paar merkwürdige Geschichten über diesen jungen Mann. Für Zolner zählte es zu den ganz großen Rätseln der Schöpfung, welchen Narren sein verstorbener Herr an ihm gefressen hatte.
Aber der junge Mann war nun der neue Herr. An diesem Faktumgab es nichts zu rütteln. Leider, wie Zolner in Gedanken hinzufügte, wobei er sich dessen bewusst wurde, dass Walther von Ascisberg viel schlauer und weiser war als er selbst und die Wahl seines Erben mit Bedacht und Weitsicht auf Isenhart gefallen war. Zolner wollte diesen letzten Willen seines Herrn beherzigen und Isenhart eine Chance einräumen. Isenhart von Tutenhoven.
Genau dieser Erbe nahm ihn jetzt ins Visier. »Gab es einen besonderen Grund für Walthers Ritt nach Spira?«
»Es ging wohl um einen Mord.«
»Einen Mord?«, fragte Konrad.
Zolner nickte: »Um einen Mord an einem jungen Mönch. Vater Hieronymus hatte ihm davon berichtet. Nun, das war nichts Außergewöhnliches, aber als mein Herr erfuhr, dass man dem Novizen die Augäpfel entnommen hatte, wollte er unbedingt aufbrechen.«
Isenhart und Konrad presste sich das identische Bild in den Kopf, der Anblick des getöteten Kreuzfahrers, von dessen Kopf der Gänsegeier aufgestiegen war. Die leeren Höhlen, die einen anstarrten.
»Wie das? Wie soll er morden können?«, fragte Konrad von Laurin fassungslos, »Michael von Bremen ist tot.«
Er und Isenhart hatten es sich unter den drei Tannen bequem gemacht, sie saßen im Gras, Walters letzte Ruhestätte in Sichtweite.
Isenhart nickte: »Ich bin mir nicht sicher. Fest steht aber, dass Walther von Ascisberg den Weg nach Spira deswegen auf sich genommen hat.«
»Was nicht besonders weit ist.«
»Ein Mann in seinem Alter bewegt sich nicht ohne gewichtigen Grund.«
Konrad seufzte. Es galt also, Isenhart mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. »Du hast damals von einem Muster gesprochen. Von den Ähnlichkeiten unter den Opfern. Dass sie allesamt Jungfrauen waren. Was der ermordete Mönch in Spira wohl nur schwerlich gewesen sein konnte.«
Isenhart war im Begriff, zu einer Erwiderung anzusetzen, als er sich selbst Einhalt gebot. Konrad war ihm um die halbe Erde gefolgt, es war an der Zeit, ihn endlich nach Hause gehen zu lassen.Zu Frau und Kind, so Gott wollte. Daher nickte er: »Das stimmt. Du hast recht, Konrad.«
Der junge Laurin war völlig perplex. Er war es gewohnt, dass das Ende einer Debatte zwischen ihnen durch Isenharts letzte Replik gebildet wurde. Sein Bauchgefühl ließ ihn stutzig werden. »Du lenkst nicht etwa ein, damit ich endlich zu meiner Frau und meinem Kind gehen kann?«
»Keineswegs.«
»Dann ist es gut«, sagte Konrad beruhigt.
Sie kamen überein, dass Isenhart vorerst in Tutenhoven verweilen würde, um hier alles Weitere und Nötige im Sinne von Walther von Ascisberg zu veranlassen. Konrad indessen sollte sich nach Heiligster aufmachen.
»Willst du es nicht lesen?«, fragte Konrad von Laurin. Er deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf die Pergamentrolle, die Isenhart von Zolner überreicht bekommen hatte und die nun neben ihm im
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