Isenhart
vierzehn, der trotzige Zug um seinen Mund, der später so typisch und fast dominierend für seine Physiognomie werden sollte, deutete sich hier bereits an.
»So«, fragte Walther von Ascisberg mit hochgezogener Braue, »ist das so? Allmächtig und allwissend? Ist er beides?« Dabei legte von Ascisberg jenes Lächeln an den Tag, das ihnen zuzuflüstern schien, das Gesagte besser nicht einfach hinzunehmen. In den Augen seines Lehrers las Isenhart die Hoffnung, nahezu das Flehen, einer von ihnen möge sich als würdig erweisen.
»Aber Vater Hieronymus sagt, der Schöpfer ist allmächtig und allwissend«, erwiderte Konrad und rief mit seinen Worten bei Walther ein nachsichtiges Lächeln hervor.
»Ich gebe euch einen Hinweis«, sagte er, »es ist weniger eine Frage des Glaubens als vielmehr eine der Logik.«
Dieser Rat motivierte Isenhart. Und binnen eines Flügelschlags offenbarte sich ihm die Lösung, als hätte sie sich schon immer verkapselt in seinem Kopf befunden, wo sie ungeduldig darauf wartete, endlich entdeckt zu werden.
»Nein, der Herrgott kann nicht beides sein«, antwortete er schnell, »jedenfalls nicht zugleich, was er aber sein müsste, weil beide Eigenschaften ewig sind.«
Walther nickte: »Richtig. Aber warum? «
»Wenn er allwissend ist, weiß er alles. Also weiß er auch, auf welche Art er einmal ins Weltengeschehen eingreifen wird.«
»So weit, so gut«, ermunterte Walther von Ascisberg ihn.
»In dem Moment, in dem er dann etwas verändert, kann Gott nicht mehr anders handeln, als er es vorausgesehen hat, sonst wäre er nicht allwissend. Aber ein Gott, der nicht zu jedem Zeitpunkt so handeln kann, wie es ihm beliebt, ist nicht allmächtig. Also kann er nur allwissend oder allmächtig sein, nicht beides zugleich, da das eine jeweils das andere ausschließt.«
Konrads Züge nahmen jenen Ausdruck des Erstaunens an, zu dem er sich noch sehr oft bemüßigt fühlen würde.
Isenhart erinnerte sich sehr genau an diesen Tag. Wenn Walther also bei seiner Abreise gesagt hatte, sein Schicksal liege ohnehin in den Händen des allwissenden und allmächtigen Schöpfers, so war das eine Lüge gewesen, deren einziger Sinn darin bestanden hatte, Zolners Sorge um das Wohlergehen seines Herrn den Boden zu entziehen.
»Wie geht es Henning?«, fragte Konrad und verjagte damit Isenharts Erinnerungen. Der sah vorsichtig zu Zolner auf, ganz so, als könne er, falls er den Blick nur recht behutsam hob, den möglichen Tod des Freundes ungeschehen machen.
»Oh, ihm geht es außerordentlich gut«, antwortete Zolner, der sich die ganze Zeit am Kopf kratzte, von dem hin und wieder ein Pulk schwarzer Punkte aufsprang, um erneut in seinem Haar zu verschwinden, »ich meine, gemessen daran, dass er schon fast in des Schnitters Hand war. Er ist gesundet, er kann laufen. Nicht mehr so unbeschwert wie früher, aber …« Er schüttelte den Kopf.
Konrad und Isenhart merkten auf. »Aber?«, hakte Konrad von Laurin nach.
Tränen schossen in die Augen von Walthers loyalem Diener. »Es ist ein Wunder, was mein Herr und Hennings Vater vollbracht haben. Ein Wunder. Es gibt keine andere Erklärung.«
Der göttliche Funke.
Isenhart atmete schwer aus, er hatte unbewusst die Luft angehalten, das Atmen ausgesetzt, bis Zolners Worte ihn erlösten. Henning lebte!
Eine Woche, nachdem man Walthers Leichnam nach Tutenhoven überführt und ihn beigesetzt hatte, war Henning hier erschienen, wie sie von Zolner erfuhren.
»Er hat sich oft nach dir erkundigt«, merkte Zolner an und sah dabei zu Isenhart.
Günther von der Braake war erkrankt, dennoch hatten er und sein Sohn vorgehabt, der Bitte eines Adligen zu folgen, eines gewissen Engelhard II . von Weinsberg, der im Dienste der Staufer eine Burg nahe Helibrunna unterhielt, die diese wiederum 1140 von den Welfen erobert hatten. Woran der Nobile litt und weshalb er nach einem Medicus schicken ließ, all dies war Zolner nicht bekannt.
»Der Mörder«, nahm Konrad erneut den Faden auf, »hat man ihn gerichtet?«
Zolner schüttelte den Kopf: »Niemand hat die Tat bezeugt. Der Mörder ist unbekannt.« Seine Augen wanderten zu Isenhart. »Was soll jetzt mit Tutenhoven geschehen?«, fragte er.
»Ich weiß nicht«, bekannte Isenhart, »ich denke, es wäre Walther von Ascisbergs Wille gewesen, wenn du die Geschicke des Gehöfts leitest. Mit Cecilias Unterstützung.«
Aber Zolner schüttelte kurz und kräftig seinen Kopf und zog ein Pergament hervor, das er an seiner Brust getragen hatte.
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