Isenhart
wusste.
Derer gab es nicht viele.
Das Wagnis seiner Entdeckung war verschwindend gering. Es war nicht mehr als ein Stutzen Walthers, der den Tratsch zweier Weiber bei der Ernte auffing, den ein günstiger Sommerwind an sein rechtes Ohr trug, aus dem feine, silberne Härchen sprossen. Ein Tratsch über einen Mönch, über gestohlene Augäpfel – die Weiber bogen die Rücken unter wohligen Schauern –, der das OhrWalthers in Schwingungen versetzte. Und direkt danach sein Kombinationsvermögen.
Gegen jede Unwahrscheinlichkeit begriff er in der Zeitspanne, die eine Ähre benötigte, um sich wieder aufzurichten, dass das Morden noch kein Ende genommen hatte. Dass der Seelensammler sich tarnte und hoffte, seine Taten unerkannt fortsetzen zu können.
Isenhart saß ab und führte sein Pferd zum Rhein, um es zu tränken. Die Sonne spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, die Reflexionen ließen helle Flecken über Steine, Laub und Gräser flitzen und vibrieren.
Er setzte sich auf einen warmen Stein.
Während die Wachleute in Spira die Ermordung des Mönches für die abscheuliche Tat eines Wahnsinnigen halten mussten, die die offiziellen Nachforschungen in die falsche Richtung lockten, konnte der Täter sich in Sicherheit wiegen. Doch dann erschien Walther von Ascisberg in der Stadt. Er stellte Fragen, mit hoher Wahrscheinlichkeit begutachtete er auch den Leichnam, falls der noch nicht verscharrt worden war. Für den Außenstehenden war er ein alter, klappriger Kauz. Ein neugieriger Greis. Wer ihn nicht kannte, musste ihn als ungefährlich einstufen, dachte Isenhart. Was sollte der Seelensammler denn von einem neugierigen Alten befürchten? Nichts. Der gebrechliche Mann stellte keine Gefahr dar – es sei denn, der Mörder wusste, mit wem er es zu tun hatte.
Der Täter, der Walther von Ascisberg bekannt war, musste unfraglich seiner Entlarvung entgegensehen, die es unter allen Umständen zu verhindern galt. Vierteilung oder Rädern, was auch immer bevorstand, es brachte dem Täter mit Gewissheit den Tod.
Also, schloss Isenhart, während seine Augen stumpfsinnig auf die glitzernde Wasseroberfläche des Flusses gerichtet waren, geriet der Seelensammler unter Zugzwang – diesen Begriff entlehnte er aus dem Spiel der Könige, das Marco Ray ihn gelehrt hatte. Der Mörder musste handeln. Kaum hatte Walther von Ascisberg die Stadtmauern Spiras hinter sich gebracht, schlug er zu.
Und es sprach dabei nicht nur für seine Kaltblütigkeit und Intelligenz, dass er den Alten erschlug, es kündete Isenhart auch von der Disziplin des Mörders, die ihn an der Entnahme der Augen hinderte. Nur zu gerne hätte der Mörder sicherlich einen Blick auf dieSeele dieses gebildeten Mannes geworfen. Ein Schatz möglicherweise, ein Schatz, dessen Anblick er sich versagte.
Die Art und Weise des Mordes an Jobst sollte jene, die ihm auf den Fersen gewesen waren, in ihrem Glauben, mit von Bremens Tod sei die Serie beendet, nicht aufschrecken. Die Tötung Walthers mit einem Stich ins Hirn, eine Methode, die der Seelensammler mittlerweile mit erschreckender Präzision beherrschte, kam nicht zur Anwendung. Er wollte seine Spuren verwischen.
Die Brise trug Wärme über den Rhein, die Sonnenstrahlen glitten über Unterarme, Hände und Gesicht, dennoch fröstelte Isenhart, als seine Gedanken ihm die Erkenntnis zutrugen, dass der Mörder nicht nur Walther von Ascisberg gekannt haben musste – sondern auch ihn. Nur wenn der Seelensammler Isenhart nahe war, nur dann ergab es Sinn, den Mord an Walther von Ascisberg als den zufälligen Raubmord einiger finsterer Gesellen erscheinen zu lassen.
Die Mordmethode war im Sinne einer Täuschung gewählt worden. Und bei oberflächlicher Betrachtung hätte der Seelensammler sein Ziel auch erreicht. Hätten seine Spuren ins Nichts geführt.
Aber Isenhart ließ sich nicht täuschen. Nicht ein drittes Mal.
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31.
in schwarzes Rauschen durchfuhr die Luft und erschreckte Isenhart. Doch nur kurz, denn das kehlige Krächzen des Kolkraben, der auf seiner Schulter landete, ließ seine Muskeln umgehend entspannen. Gweg musterte ihn aus seinen dunkelbraunen Augen.
Mit seinen Krallen wanderte er nur ein paar Fingerbreit hin und her, dann liebkoste er mit seinem Schnabel Isenharts Ohr. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Dolph, immer noch kleiner als sein Vater, was von Unnabas grazilem Körperbau herzurühren schien, sich auf der anderen Schulter niederließ.
Sie rochen nach Aas, aber das stieß Isenhart
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