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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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des Syllogismus natürlich, aber vor allem – weil Ihr zur See gefahren seid.«
    »Ach. Habe ich das nicht gerade selbst vor zwei Wimpernschlägen erwähnt? Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ihr seid zur See gefahren. Dann müsstet Ihr einen Augspleiß kennen.«
    »Den kenne ich«, erwiderte Hieronymus, während er in Gedanken seine eigenen Worte überprüfte, sie nach Schwachstellen und Flanken absuchte, in die dieser Logikgläubige – der Herr sei seiner armen Seele gnädig – einzufallen drohte. Er überprüfte seine eigenen Gedanken! So weit war es gekommen.
    Isenhart nickte, als habe er mit dieser Antwort gerechnet. Natürlich, der Mann tat ja nicht mal einen Atemzug, sofern sein Geist ihn nicht vorher analysiert hatte. Er schnitt die Welt in so dünne Scheiben, dass sie transparent wurden. Wenn man durch ein Tor in einem Denkgebäude trat, war Isenhart schon dort gewesen.
    Dieser hielt ihm das Hanfseil entgegen. »Ich bitte Euch, mir einen Augspleiß zu binden, Vater.«
    »Und wozu?«
    »Tut mir den Gefallen.«
    Hieronymus deutete ein Achselzucken an. Was war schon dabei? Er nahm den groben Hanf, konzentrierte sich einen Moment lang und verknotete mit zunehmender Freude das Seil zu einem Augspleiß. Ungeheuerlich, mit welcher Güte der Schöpfer ihn auf die Erinnerungen aus seiner Jugend zurückgreifen ließ. Dieser Umstand, diese Liebe Gottes, war der Quell für Hieronymus’ Freude, während er den Augspleiß fertigstellte, den er schließlich, nicht frei von einer Prise Eitelkeit, Isenhart reichte. Dieser nahm ihn zwar entgegen, löste ihn allerdings sofort wieder und hielt ihm erneut das Seil hin. »Bindet ihn mir mit einer Hand, Vater.«
    Hieronymus blies die Wangen auf. »Das Maisfeld gehört bewässert, der Kanal ist voller Schlamm«, ließ er Isenhart wissen.
    Er besaß nicht eben übermäßig Zeit für diese Spielereien, noch dazu nahm er Marie häufig den kleinen Sigimund ab, um an ihm das zu vollbringen, was er bei Konrad versäumt hatte, nämlich ihm frühzeitig Demut und Gottesfürchtigkeit einzutrichtern, auf dassaus ihm ein guter Mensch werde. Schnell war damit ein ganzes Tagewerk vollbracht.
    »Bitte«, sagte Isenhart und blickte ihm dabei unverwandt in die Augen.
    »Wenn das eine Narretei ist, die mich …«
    »Ist es nicht«, unterbrach Isenhart ihn, ohne dabei die Stimme zu heben, »ist es nicht, Vater. Ich versichere Euch, dass es nicht dazu angetan ist, Euch in Verlegenheit zu bringen. Ihr dürft den Mund zu Hilfe nehmen, den Fuß, alles – nur nicht die zweite Hand.«
    Hieronymus erwiderte den starren Blick dieses jungen Mannes, der seinen Fuß schon auf ein Land gesetzt hatte, das allen anderen erst nach ihrem Tode eröffnet wurde. Dann nahm er das Hanfseil erneut in die Hand und versuchte, den Augspleiß zu knüpfen, was ihm aber auch mithilfe seines Kiefers nicht gelang. Schließlich warf er das Seil erzürnt zu Boden.
    »Man kann den Augspleiß nicht mit einer Hand knüpfen«, entfuhr es ihm voller Wut über sein Misslingen, »was ist das für eine blödsinnige Idee? Hat es wieder mit den Blättern zu tun und dem Saft? Starr mich nicht an, sprich!«
    »Nein, keine Sorge«, antwortete Isenhart ernst und bedrückt. Um dann zu seufzen. »Eine letzte Frage noch«, fuhr er fort.
    »Nein«, unterbrach der Geistliche ihn, »keine letzte Frage mehr und keine fragwürdigen Kunststückchen.«
    »Doch«, entgegnete Isenhart und trat näher, sehr viel näher, sie konnten den Atem des anderen über ihre Haut streichen spüren, »wenn ich noch eine letzte Frage in diesem Leben an Euch stellen dürfte, wäre es diese: Habt Ihr je einen Mann gesehen oder je von einem gehört, der in der Lage gewesen wäre, einen Augspleiß ohne eine zweite Hand zu binden?«
    »Nein«, antwortete Hieronymus ruhig, »ich habe niemals jemanden gesehen oder von jemandem gehört, der den Augspleiß nur mit einer Hand binden kann. Warum?«
    Aristoteles’ Syllogistik gab die Antwort, die Isenhart zwar geahnt, aber gerne vermieden hätte. Die Logik präsentierte ihre Kehrseite, sie war frei von jeglicher Rücksicht.
    Die erste Prämisse lautete also, wie Isenhart sich vergegenwärtigte, dass Michael von Bremen sich nicht selbst gerichtet habenkonnte. Die zweite Prämisse kam in Form einer Frage daher: Wer von ihnen vieren – Isenhart, Henning, Konrad und Günther – war als Einziger für eine Weile alleine in der Burgruine zu Tarup gewesen?
    Und die Conclusio lautete: Günther von der Braake war der Mörder von

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