Isenhart
Kindliches aus.
»Ist es so weit?«, fragte Henning. Das Lächeln von Hainfelds verlor sich. Er nickte. Henning schien nicht überrascht zu sein. Er ging auf jenen steinernen Stufen hinab, auf denen Isenhart ihm folgte.Mit jedem weiteren Schritt wich das Tageslicht und kroch ihnen die Dunkelheit der Gewölbe, in die sie hinabstiegen, entgegen.
Einige Tage zuvor war Isenhart in Hieronymus’ Kammer getreten, die langsam den Geruch annahm, wie ihn ein alter Mann verströmte. Die Muffigkeit ging sicher auch vom Schimmel aus, der sich in grünlich schwarzen Wucherungen über die Mauern zog. Doch Isenhart hatte schon früher wahrgenommen, wie frei von Intensität der Geruch war, den ein Neugeborenes ausströmte. Und wie Atem und Körpergeruch wie alles andere auch dem Wandel der Zeit unterworfen waren.
Seine Kammer hatte der Geistliche mit vier Kruzifixen ausgestattet, für jede Himmelsrichtung eines. Er studierte den Span vom Kreuz Christi, den Alexander von Westheim ihm einst überantwortet hatte, als Isenhart eintrat. Dieser hielt ein dünnes Hanfseil in der Hand.
Wie so oft wurde Hieronymus aus dem Gesichtsausdruck Isenharts nicht schlau. Nicht vollständig zumindest, denn jetzt, da er ihn auf diese respektlose Art fixierte, ihm also direkt in die Augen blickte, stand mit ziemlicher Sicherheit zu befürchten, dass er mit seinen nächsten Worten Hieronymus’ Ader auf der Stirn in schmerzhaftes Pochen versetzen würde.
Es war vor allem die Logik, die Isenhart hierhergeführt hatte.
Mit Walther von Ascisberg hatten Konrad und Isenhart Aristoteles’ – frisch aus dem Arabischen übersetzte – Analytica priora studiert, eine stellenweise gespreizt zu Pergament gebrachte Abhandlung über die Logik, insbesondere über die Syllogistik, über das Verfahren also, aus zwei Prämissen eine Schlussfolgerung abzuleiten, die – sofern die Prämissen Gültigkeit besaßen – ebenfalls legitimen Charakter besaß und als Prämisse für weitere logische Schlüsse Verwendung finden durfte.
»Ich kenne diese Miene an dir«, holten Hieronymus’ Worte ihn zurück nach Heiligster, »sie verheißt nichts Gutes.«
»Nichts Gutes für wen?«, fragte Isenhart.
»Nichts Gutes für niemanden«, erwiderte der Geistliche mürrisch. »Was hat es mit dem Hanfseil auf sich?«
»Ich möchte Euch etwas über die Logik erzählen.«
»Du siehst mich gespannt«, erwiderte Hieronymus mit leichter Ironie.
»Alle Raben sind sterblich«, begann Isenhart, um Vater Hieronymus mit dem aristotelischen Weltbild vertraut zu machen, »das ist die erste Prämisse. Gweg ist ein Rabe. Das ist die zweite Prämisse. Also, das ist die conclusio, ist Gweg sterblich.«
»Oha, eine beeindruckende Erkenntnis«, lächelte Hieronymus, »Raben sind sterblich. Der Heilige Stuhl wird außer sich sein. Wir müssen umgehend einen berittenen Kurier entsenden.« Er stieß ein heiseres Lachen aus. »Also wirklich.« Vater Hieronymus schlug sich auf den Schenkel vor Freude.
»Und jede Schlussfolgerung kann man wieder als Prämisse verwenden, weil sie wahr ist«, fuhr Isenhart fort, dem nun seinerseits eine Ader auf der Stirn zu pulsieren begann, »auf diese Art ist es möglich, das ganze Leben, ja, die ganze Welt auf Wahrhaftigkeit zu überprüfen.«
»Nun ja, Isenhart, das klingt mir doch sehr vermessen.«
»Aber wieso? Man kann jede Aussage zurückführen auf genau zwei Zustände. Sie ist wahr oder sie ist unwahr. Hell oder dunkel. Ja oder nein.«
»Und wo bleibt Gott dabei?«, wollte Hieronymus wissen.
Isenhart räusperte sich vernehmlich. »In der Welt der Logik ist Gott ohne Bedeutung«, stellte er trocken fest.
»Du weißt, ich bin als sehr junger Mann zur See gefahren«, rief der Geistliche ihm zu, »das war, bevor der Schöpfer mich zu seinem Diener bestimmt hat. Ich habe die unseligsten Kreaturen getroffen, Isenhart. Den Abschaum unter Gottes Augen. Der Abschaum vertraut nicht auf den Herrn. Der Abschaum stellt Fragen. Die Ratio stellt Fragen. Die Logik auch. Und all das wird weggefegt von Gottes Antwort: Liebe. Nichts sonst zählt.«
Kurz senkte sich das Schweigen zwischen sie wie die Stille nach einem Unentschieden.
»Und was sagst du dazu?«, hakte Hieronymus nach. Sein Kopf ruckte dabei angriffslustig nach vorne. Er war von dem sanftmütigen Lächeln Isenharts überrascht – immer, wenn man meinte, ihn in eine Ecke gedrängt zu haben, aus dem es kein Entrinnen mehr gab, verblüffte er einen aufs Neue.
»Deshalb bin ich eigentlich hier, wegen
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