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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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den Schädel trieb.
    Möglicherweise wand sich noch ein Seufzen oder Aufstöhnen über Liliths Lippen. Auf jeden Fall aber griff ihre Hand im Todeskampf nach ihm, fand seinen Schopf und packte ihn. Eine Gegenwehr, mit der er nicht gerechnet hatte. Also stieß er ein zweites Mal zu, und im Erstarren riss Lilith ihm die Haare aus der Kopfhaut, bevor sie tot zur Seite sackte.
    All das war reine Einbildungskraft. So oder anders hatte es sich abgespielt. Sicher war nur: Lilith hatte ihrem Mörder schwarze Haare ausgerissen, die dieser zuvor rot gefärbt hatte. Den Mord an ihr hatte zweifelsohne Henning begangen. Danach – die Wachen hatten es am Folgetag bestätigt – hatte Henning alias Aberak von Annweiler rothaarig und einarmig die Stadttore passiert. Und schwarzhaarig und zweiarmig einige Stunden später die Stadt wieder verlassen.
    Natürlich durchforsteten sie alle Gasthäuser und Herbergen vergebens nach Aberak, da der Mann, der vorgegeben hatte, jener zu sein, sich die ganze Zeit über direkt neben ihnen befand und auch noch, Isenhart erinnerte sich sehr genau an die frühen Abendstunden jenes Tages, sibyllinisch anzumerken wusste, dass Isenharts Vorschlag, alle Schenken und Herbergen zu durchsuchen, ein guter Vorschlag war. Und sich am kommenden Morgen, als sie ihre Suche nach dem einarmigen Rothaarigen abbrachen, nicht verkneifen konnte zu sagen: Es ist, als hätte der Erdboden Aberak von Annweiler verschluckt.
    Um dieser Unverfrorenheit den letzten Schliff zu geben, hatte sich die pure Fassungslosigkeit über diesen unerhörten Umstand äußerst glaubwürdig in Hennings Gesicht gespiegelt.
    Der Mord an Lilith hätte keine Konsequenzen für Henning von der Braake gehabt. Er wäre mit seinem Vater im Stall des Wirts aufgetaucht, Günther hätte eine Untersuchung an der Leiche durchgeführt, Lilith zur Beisetzung freigegeben, sein Sohn hätte mit ehrlicher Miene versichert, man werde den Schuldigen bis ans Ende der Welt verfolgen lassen, um die Sache dann in Spira im Sande verlaufen zu lassen.
    Dies wäre der Gang der Dinge gewesen. Aber Henning und sein Vater hatten stattdessen zwei Wachmänner der Stadt im Stall vorgefunden, die sich des Falles bereits angenommen hatten – und einer von ihnen wischte mit einer Analyse des Tathergangs, die er aus dem ableitete, was er beobachtet hatte, jede Hoffnung, man habe es mit zwei Tölpeln zu tun, denen man mühelos ein X für ein U vormachen konnte, beiseite. Während dessen Begleiter Konrad in Spira verweilen wollte, ließ dem anderen, Isenhart, die Angelegenheit keine Ruhe.
    Henning begleitete ihn daher auf dem Weg nach Annweiler. Er kannte das Eußertal bereits, er war hier gewesen und hatte sich auf dem kleinen Friedhof für Aberak von Annweiler entschieden, weil dessen Vorname ein Anagramm zu Braake bildete.
    Vielleicht hatte sie der Weg von Frankreich ins Heilige Römische Reich durchs Eußertal geführt, möglicherweise auch der Ruf eines kranken Fürsten. Jedenfalls mussten sie den Friedhof nach 1180 passiert haben, dem Jahr, in dem von Annweiler beigesetzt worden war. Hennings wachem Verstand dürfte sich die Buchstabenfolge Aberak geradezu aufgedrängt haben, überlegte Isenhart. Ihm war in die Augen gesprungen, wofür alle anderen – Walther und ihn selbst eingeschlossen – blind gewesen waren. Braake und Aberak, Aberak und Braake.
    Isenhart schüttelte den Kopf, ein Zeichen der Verwunderung, das Offensichtliche, das, was sich unmittelbar vor ihm abgespielt hatte, nicht gesehen zu haben.
    Auf der Reise ins Eußertal, von der Isenhart angenommen hatte, sie würden etwas über den Mörder in Erfahrung bringen, hatte er Henning lediglich als Studienobjekt gedient. Der junge von der Braake verfolgte jeden gedanklichen Schritt, den Isenhart unternahm. Und das, was er vorfand, musste ihn entzückt haben, ansonsten wäre die Nacht in der Scheune Anselms, des Wirtes und Mordbuben, anders ausgegangen.
    Was sich erst später ereignete, dachte Isenhart und ordnete seine Gedanken, die bereits voranstürmten, weil er darauf brannte, jetzt all die Blicke und Gesten und Worte mit neuer Bedeutung zu füllen, der Wahrheit nämlich, denn Isenharts Erinnerung an die gemeinsamen Momente mit Henning entsprach den Tatsachen – aber nicht der Wahrheit. Er gebot seinen Gedanken Langsamkeit. Er zwang sie zurück zu jener Reise, die sie an von Annweilers letzte Ruhestätte geführt hatte.
    Tatsächlich offenbarte sich ihm eine weitere Erkenntnis: Henning von der Braake hatte

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