Isenhart
das Leinen um den Hals gelegt und es mit dem Stock, Wendung für Wendung, mit der er ihn im Kreis drehte, immer enger gezogen.
Anschließend beging er den Fehler, auf den Isenhart im Spiegel des Hauses von Marco Ray stieß: Er band einen Augspleiß, mit dem er den Toten an die Decke zog, bevor er auf seine Position zurückkehrte, an der sie ihn vorfanden.
So verließen sie Tarup. Die Taten waren gesühnt, Annas Mörder tot, aber der Sieg, den sie errungen hatten, schmeckte schal.
Dieser Umstand gelangte offenbar auch Günther und Henning zu Bewusstsein. Ich begreife nicht, warum er das getan hat, bekannte Günther von der Braake deshalb scheinheilig. Und sprach das aus, was Konrad und Isenhart empfanden.
In Spira wäre er bei lebendigem Leib verbrannt worden. Das war Hennings Erklärung gewesen, die ihnen halbwegs einleuchtete. Damit und mit ihrer Rückkehr nach Spira und Heiligster hatte das Morden ein Ende gehabt, war die Jagd abgeschlossen und waren Henning und er frei gewesen, sich anderen Dingen zu widmen, der Entwicklung eines Nurflüglers etwa.
Ohne Walthers Geständnis über Isenharts tatsächliche Herkunft und dessen Reise zurück zu seinen Wurzeln würden sie noch immer Seite an Seite das Hier und Jetzt erforschen, infrage stellen, neu definieren, neue Grenzen abstecken, kurz: sich ihre Welt ertasten.
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35.
ls Sophia von Laurin das erste Mal in Begleitung von Vater Hieronymus das Tor zu der Anlage aus hellem Sandstein betreten hatte, dem Benediktinerkloster Sunnisheim, hatte sie geglaubt, ihr Herz habe aufgehört zu schlagen und das, was von der säkularen in die geistliche Welt übergetreten war, sei nur mehr ihr Körper gewesen.
Der Schrecken aber, vor dem sie sich gewappnet hatte, blieb aus. Über dem Torbogen war sorgsam das Credo des Ordensgründers Benedikt von Nursia in den Stein gemeißelt: Ora et labora et lege.
Das Gebet, das der heilige Benedikt als Erstes anmahnte, überraschte Sophia nicht. Labora, der Imperativ, der den Ordensmitgliedern das Arbeiten befahl, erwies sich als offenkundig. Nonnen und Laienbrüder schwirrten emsigen Ameisen gleich durch den Innenhof des Klosters. Sie widmeten sich der Arbeit im Garten oder gingen den Weltlichen zur Hand, die sich hier angesiedelt hatten. Dem Schmied, dem Zimmerer oder dem Seiler. Viele verrichteten ihre Arbeit auch auf den umliegenden Feldern oder Weinbergen.
Lege – lies! Darin lag für Sophia von Laurin der alleinige Trost. Denn nur um der Ehe mit Reimar von Vogt zu entrinnen, ohne damit Nachteile für Heiligster und seine Bewohner heraufzubeschwören, hatte sie sich für das Klosterleben entschieden. Wäre ihre Wahl auf einen anderen Verehrer gefallen, hätte sie vielleicht ihren Bruder in Lebensgefahr gebracht. Ein auf solche Art gedemütigter Reimar von Vogt hätte sich womöglich für diese Zurückweisung revanchiert, indem er dem Abt von Mulenbrunnen den Aufenthaltsort des letzten Stammhalters des Hauses Laurin verraten hätte.
Sophias Entschluss erlaubte es ihm dagegen, sein Gesicht zu wahren. Gegen Jesus Christus den Kürzeren zu ziehen, erschien nicht nur annehmbar, sondern geradezu geboten.
An jenem Nachmittag, an dem Sophia das Kloster betrat, standen zwei der Nonnen im schwarzen Habit der Benediktiner nur wenige Fuß entfernt am Kräutergarten des Klosters. Eine weitere rührte mit einem Stab in einem Trog, in dem sich eine dunkle Brühe befand. Die anderen beiden waren eine Novizin und eine kleine, schmale Frau. Feingliedrig und sehnig.
»Das ist Gamander, er eignet sich ausgezeichnet gegen Magenverstimmungen«, erklärte diese der Novizin und deutete dabei auf die jeweilige Pflanze, »Odermennig. Anzuwenden bei Darm- oder Harnbeschwerden, zeigt aber auch Wirkung bei Zahnfleischentzündungen. Und das ist Weinraute. Sie …«
»Mutter Oberin«, rief die Nonne am Trog, »die Kukullen werden nicht schwarz.« Zum Beweis hob sie mit dem Stecken etwas von dem Leinen, das zu den Überwürfen der Benediktiner verarbeitet worden war, aus dem Trog. Tatsächlich hatte der Stoff erst eine dunkelgraue Schattierung angenommen.
»Rühr mehr Eichenlohe hinein und lass den Sud sich setzen«, wies die Oberin sie an und wollte sich wieder der Novizin zuwenden, um sie weiter in die Heilkräuterkunde einzuweisen, als ihr Blick an einer außergewöhnlichen Erscheinung hängen blieb.
Ein Paar grüner Augen, das sie musterte, ein zartes Gesicht voller Sommersprossen, der kleine Mund und das – darin spiegelte sich Sophias
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