Isenhart
befahl.
Anfangs erhielten sie noch wertvolle Hinweise von Bauern und vom fahrenden Volk, Indizien für Fährten, die allesamt nach Süden führten, dann einen weiten Bogen beschrieben und sich aufteilten – nach Westen und nach Osten.
Prompt verfielen Isenharts Mitstreiter auf die einzige Himmelsrichtung, die ihnen ihrer Meinung nach noch blieb: Norden. Dabei war es lediglich die einzige, wie Isenhart ihnen vorhielt, die die Flüchtenden bisher noch nicht eingeschlagen hatten und die sich ihnen deshalb als die wahrscheinliche aufdrängte. »Aber Henning von der Braake denkt anders«, wandte er sich an sie und las in ihren Augen schon den Zweifel, bevor er den Satz vollendet hatte, »und ich weiß, wie er uns zu täuschen gedenkt.«
Er würde sie täuschen wollen, indem er darauf setzte, dass die Verfolger bei der Frage, welche Richtung einzuschlagen war, aneinandergeraten würden – was auch eintrat –, sich darauf verließ, dass es Isenhart nicht gelingen würde, sie auf jenen Kurs einzustimmen,von dem er nahezu sicher annahm, Henning dort noch einholen zu können – es gelang ihm tatsächlich nicht –, und schließlich folgerichtig vermutete, dass die Männer sich ohne Isenhart nach Norden aufmachen würden – und so geschah es am 28. August 1197.
Nach 48 Stunden Hetzjagd preschte Isenhart auf sich gestellt in südliche Richtung weiter und verfehlte Henning und Simon von Hainfeld bei Groppenbach um eine knappe halbe Stunde.
Doch dann, nur einen Tag später, war es den Flüchtenden gelungen, über ein Dutzend Fährten von nahezu ebenbürtiger Glaubwürdigkeit zu legen, für deren zügige Überprüfung es Isenhart schlicht an Männern mangelte. Henning und sein Begleiter waren entkommen.
Als er erschöpft auf Burg Weinsberg zuritt, ertappte Isenhart sich dabei, erleichtert zu sein, weil er nicht in die Mühlen der moralischen Pflicht geraten war, die ein Stellen Hennings mit sich gebracht hätte – der Pflicht nämlich, ihn erschlagen zu müssen.
Engelhardt II ., ein Mann von rascher Auffassungsgabe, zeigte sich untröstlich über den Umstand, welchen Nattern er hier in seinem Haus Zuflucht gewährt hatte; um Isenhart im gleichen Atemzug zu bitten, jenen chirurgischen Eingriff an seiner Tochter zu wagen, dessentwegen er Henning und seinen Vater mit zahlreichen Zugeständnissen hierhergelockt hatte.
Das war sieben Tage nach der Flucht.
Isenhart saß in den unterirdischen Gewölben und hielt die sehnige Hand einer alten Frau, deren zahnloser Mund nach Atem rang. Fürst Engelhardt stand neben ihm.
Isenhart blickte von der Frau, die beim Übergang in die andere Welt zumindest von einem Händedruck begleitet werden sollte, auf zu dem Mann, den ehrliche Sorge umtrieb. »Wenn ich Eurer Tochter den Kopf mit der Säge öffne, wird sie der Medizin einen großen Dienst erweisen und ich ihr einen schlechten. Eure Tochter wird wahrscheinlich sterben. Sie wird verbluten.«
Engelhardt II . schluckte, wiegte den Kopf hin, wiegte ihn her und rang sich durch: »Es ist nicht so, dass ich ein leichtfertiger Mann und Vater wäre, bitte schenkt mir Glauben. Ich würde Euch nicht um Eure Hilfe, um diese Gefälligkeit mit all ihren Unwägbarkeitenbitten, wenn mir eine Möglichkeit bliebe, versteht Ihr, Isenhart von Laurin? Begreift Ihr meine unselige Lage? Ihre Brüder haben sich von Agnes abgewandt, selbst ihre eigene Mutter. Und manchmal – manchmal wende auch ich mich ab. Wenn Agnes mir unheimlich ist. Das eigene Kind.« Er seufzte.
»Ich kann Euch nicht helfen«, beharrte Isenhart.
Der Fürst senkte den Blick. Der Gram um seine von Gott verlassene Tochter hatte schwere Falten in sein Gesicht graviert, seine Augen erschienen Isenhart unsagbar müde. »Die Benediktiner tuscheln schon, das Gesinde sowieso. Ihr wisst, was das heißt.«
Isenhart nickte. Unauffällig warf er einen Blick auf dem Stumpf seines kleinen Fingers. Den Verdacht des Klerus zu wecken war nie ohne Risiko. »Wollen sie sie holen?«, fragte er.
Engelhardt II . deutete ein Nicken an. »Einige sagen, dass der Herrgott uns die letzten beiden Missernten auferlegt hat, um uns für unsere Nachsicht gegenüber meiner Tochter zu strafen. Und dass sie zur nächsten Herbst-Tagundnachtgleiche als Opfer dargebracht werden muss, um den Lauf der Dinge zu ändern. Was würdet Ihr an meiner Stelle tun?«
»Wenn mir am Wohl meiner Tochter läge«, entgegnete Isenhart ruhig, noch immer von den Strapazen der Jagd auf Henning von der Braake gezeichnet,
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