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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Wesen – ungezähmte rote Haar, das ihr vom Kopf abstand. Und sich nicht bändigen ließ.
    Oberin Adina, deren blondes Haar an den Schläfen kaum merklich einem Aschgrau Platz machte und die ebenfalls mit Sommersprossen geschlagen war, bedauerte im gleichen Augenblick den Entschluss dieser jungen Frau.
    Natürlich nahm man den Novizinnen alles, um sie zunächst von allem Weltlichen zu befreien, zuvorderst vom freien Willen, denn nur ein willenloser Charakter eignete sich, zu einer gottgefälligen Form zu reifen.
    Man nahm ihnen ihren Besitz, und so geschah es auch mit Sophia, nachdem Oberin Adina ihr einen Platz im Dormitorium zugewiesen hatte. Sophia entsagte ihrem Kamm und ihren Kleidern, sie entblößte sich vor Adina, die ihr half, Tunika und Habit anzulegen.
    Neque aliquid habere proprium, nullam omnino rem, neque codicem, neque tabulas, neque graphium, sed nihil omnino. Quippe quibus nec corpora sua nec voluntates licet habere in propria voluntate – Keiner habe etwas als Eigentum, überhaupt nichts. Kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel, nichts. Den Brüdern ist es nicht erlaubt, nach eigener Entscheidung über ihren Leib und ihren Willen zu verfügen.
    So hatte Benedikt von Nursia es erlassen, Kapitel 33, Regel drei und vier.
    Otiositas inimica est animae, et ideo certis temporibus occupari debent fratres in labore manuum, certis iterum horis in lectione divina. Müßiggang ist der Seele Feind. Deshalb sollen die Brüder zu bestimmten Zeiten mit Handarbeit, zu bestimmten Stunden mit heiliger Lesung beschäftigt sein. Kapitel 48, Regel 1.
    Und im Anschluss daran hatte der Ordensvater 24 Regeln aufgestellt, die den Tagesablauf eines jeden Benediktiners bis ins Kleinste regelten, die letzte Regel entließ Sophia in den Schlaf, und die erste erwartete sie nach dem Aufwachen. Man nahm ihr die Zeit zum Nachdenken, wie man ihr die äußerlichen Eigenarten nahm, indem man ihr die widerspenstigen roten Haare vom Kopf schor.
    Adina untersagte ihr vorläufig den Kontakt zu ihrer Familie, damit sie sich ganz auf ihren Bräutigam Jesus Christus konzentrieren konnte, der nicht gewillt war, ihre Liebe und Zuneigung mit einem Sterblichen zu teilen, sei es Bruder, Vater Hieronymus, Schwägerin Marie oder gar Isenhart.
    Schon zwei Tage zuvor war eine Novizin aufgenommen worden, es war jene, der die Oberin die Kräuter und deren Wirkungen nahegebracht hatte. Ihr Name war Esther. Esther weinte sehr viel, sie weinte den Vergnügungen ihres adligen Hauses nach, ihren schönen, langen Haaren, sie weinte über ihr mangelndes Gedächtnis und über die Schwielen, die sich nun auf ihren Handflächen bildeten.
    Eigentlich hätten Esther und Sophia das Postulat auf ihrem Weg zur Novizin durchlaufen müssen, aber ein strenger Winter hatte das Kontingent der Novizinnen ausgedünnt – daher übersprangen Esther und Sophia diese Sprosse in der Hierarchie. Ebenso wie Cloe, durch die sie wenige Tage nach Sophias Ankunftzum Trio wurden. In Cloes Augen loderte das Feuer des Glaubens bereits lichterloh, als sie vor Adina trat. Sie brannte darauf, ihre Haare loszuwerden, sie brannte auf die Horen und sie brannte darauf, sich zu kasteien.
    In dem Scriptorium, in dem die Schwestern an den Pulten saßen und Buchstabe für Buchstabe kopierten oder – die gebildeteren – die Ursprungstexte aus dem Hebräischen oder Griechischen ins Lateinische transferierten, stellte Oberin Adina sich vor ihre drei Schülerinnen.
    Es herrschte Stille, nur das Rascheln von Federkielen, die über Pergament kratzten und die hin und wieder nachgaben und mit einem scharfen Messer in Form gebracht werden mussten, durchbrach das Schweigen.
    »Primus humilitatis gradus est oboedientia sine mora«, wandte Adina sich leise, aber sehr gut vernehmlich an sie. »Haec convenit his qui nihil sibi a Christo carius aliquid existimant. Kapitel 5, über den Gehorsam: Der erste Schritt zur Demut ist Gehorsam ohne Zögern. Es ist die Haltung derer, denen die Liebe zu Christus über alles geht. Wegen des heiligen Dienstes, den sie gelobt haben, oder aus Furcht vor der Hölle und wegen der Herrlichkeit des ewigen Lebens darf es für sie nach einem Befehl des Oberen kein Zögern geben, sondern sie erfüllen den Auftrag sofort, als käme er von Gott.
    Von ihnen sagt der Herr: ›Aufs erste Hören gehorcht er mir.‹
    Und ebenso sagt er den Lehrern: ›Wer euch hört, hört mich.‹
    Daher verlassen Mönche sofort, was ihnen gerade wichtig ist, und geben den Eigenwillen

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