Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
Vom Netzwerk:
Hof. Die dürre Gestalt, die den Blick nicht senkte, die in einfachen Bauernkleidern dort stand und bewusst oder unbewusst vermittelte, ihre Würde und ihren Willen niemandem unterzuordnen.
    Oberin Adina lebte Benedikts Regeln, und sie trug nur und ausschließlich Gott in ihrem Herzen. Ihr Leben hatte sie dem Wohlgefallen des Schöpfers verschrieben, und die Führung der Nonnen brachte es mit sich, jeden Eigensinn systematisch zu brechen, damit die Persönlichkeit sich einfügte in das große Ganze. Denn das Ganze zählte, nicht das Einzelne, der eigene Gedanke wurde durch jenen ersetzt, den der Religionsgründer zu denken für gut befunden hatte. Nur so ergab sich eine Ordnung, war Adina überzeugt, alle dachten dieselben Gedanken, alle schritten sie im Gleichtakt des Glaubens einher, keine verwirrende Idee oder Frage suchte sie mehr heim, und wenn es doch einmal einer Unsicherheit innerhalb der Klostermauern vorzudringen gelang, war die beruhigende und ihre Ratio entlastende Erklärung: Es ist Gottes Wille.
    Sophia aber passte sich nicht ein. Sie fügte sich nur auf den ersten Blick ins große Ganze, doch bei näherem Hinsehen stach sie stets ein wenig hervor. So wie bei den Besuchen von Gartachs.
    Jeden zweiten Freitag stattete ihnen Fürst Norbert von Gartach mit seinem Knappen Eugen einen Besuch ab und beschenkte das Kloster Sunnisheim mit Lebensmitteln oder Wein oder Bier, mit Münzen oder Holz, mit Gewürzen oder Fellen. Als er das erste Mal Sophia im Hof stehen sah, erstarrte er vor Ehrfurcht.
    »Norbert von Gartach hat siebenundzwanzig Kinder«, klärte Adina sie auf, »er war dem Würfelspiel anhängig, aber hat nun zum rechten Glauben gefunden.«
    »Deshalb die Spenden?«
    »Auch. Und zum Ablass.«
    Von Gartach, erfuhren die drei Novizinnen, hatte nach Strich und Faden gesündigt, nichts ausgelassen, ein echter Lebemann, der sich nun langsam um sein Seelenheil sorgte. Für ihn und andere – vermögende – Besorgte hatte der Heilige Stuhl den Ablasshandel eingeführt. Gegen den Erhalt von Geld oder Waren oder Haus und Hof minimierte der Klerus die Tage der Seelen im Fegefeuer. In Sunnisheim waren für ein Huhn zehn Tage, für ein Schaf zwanzig Tage und für einen Auerochsen fünfunddreißig bis vierzig Tage rauszuschlagen. Ein ganzer Hof führte meist direkt ins Paradies. Wer einem seinen Besitz überließ, dem ersparte man schon im Diesseits das Fegefeuer.
    Der Abt des Klosters stellte Ablassurkunden aus, die er als Brief samt Siegel ausgab, sodass die Spender damit vor das Himmelstor treten und ihn vorzeigen konnten.
    »Aber niemand weiß um ihre Überzeugung«, hielt Sophia ihrer Lehrerin entgegen, »sie erkaufen sich ihre Absolution.«
    Die Oberin deutete ein Nicken an, sie wusste nur zu gut um diese kleine Unlogik, die den meisten schlicht entging. Dieses Zögern, diese Lücke im Gesprächsfluss, interpretierte Cloe richtig und sprang deshalb ihrer Mentorin beiseite: »Aber Menschen wie Norbert von Gartach wissen um das Glück. Der gläubige Mann ist glücklicher als der Mann, der zweifelt.«
    »Und der betrunkene Mann glücklicher als der nüchterne«, antwortete Sophia postwendend.
    Keines ihrer Worte kam ihr unbedacht über die Lippen, stellte Adina fest und konnte sich einer gewissen Ehrfurcht nicht erwehren, denn Sophia benutzte die Sprache wie ein äußerst präzises Instrument. Schlagfertig und treffsicher. Wie eine scharfe Klinge.
    Etwas Merkwürdiges nahm hier seinen Gang. Denn es war von alters her und Sitte so, dass der Discipulus beim Magister in die Lehre ging – nicht andersherum. In Gedanken schalt Schwester Adina sich selbst. Musste denn erst diese junge Frau erscheinen und ihre Nase in das Offensichtliche pressen, bevor sie des morastigen Geruchs gewahr wurde?
    Dabei war Sophia sich meist selbst nicht sicher. Es war mehr ein Gefühl. Ein Gefühl, das sie stolpern ließ. Das ihr signalisierte, dass etwas von dem, was Oberin Adina sie lehrte, nicht richtig war. Und deshalb so nicht stehen bleiben durfte.
    So auch, wenn es um Strafe ging: Benedikt von Nursia hatte mehrere Kapitel über die Nuancen der Bestrafung verfasst, die man jenen Brüdern und Schwestern angedeihen zu lassen hatte, die gegen eine der Regeln verstießen.
    »Das«, unterrichtete Mutter Adina, »fördert das Gute in ihnen zutage.«
    Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass ihre Worte angekommen waren. Esther nickte, ihr Nacken musste vor Muskeln nur so strotzen, Hunderte Male täglich nickte sie bei

Weitere Kostenlose Bücher