Isenhart
zurück oder begleite mich als meine zukünftige Frau nach Heiligster.«
Alles erstarrte, selbst ein Spatz, der gerade aufgescheucht worden war und sich in die Luft erhob, fror ein. Die Töne verzerrten sich und echoten nur noch von weit, weit her. Isenhart blickte ihr unverwandt in die Augen, es war, als habe er das seit hundert Jahren getan und würde es auch noch weitere hundert Jahre tun.
Sophia erinnerte sich an den kleinen, bleichen Jungen, von dem sie gespürt hatte, dass er anders war. Sie dachte zurück an jenen Abend, an dem sie ihn bewusstlos am Boden gefunden hatte, nachdem Chlodios Fausthieb ihm das linke Auge aus der Höhle katapultiert hatte.
Der Moment, in dem er das erste Mal tötete – um sie zu retten. Sein Jauchzen, weit droben im Winterwind, ein kleines Stück Mensch an einem Gerüst aus Holz und Haut, der einem Vogel gleich die dritte Dimension eroberte.
Und sie dachte an den Traum, den sie hier geträumt hatte, im Kloster zu Sunnisheim, ein Traum, der hinter der Schlacht lag, der Traum, in dem Isenhart sein höchstes Alter erreicht hatte. Ja, sie hatte nie von ihm geträumt als älterer oder alter Mann. Alle Träume mit ihm zeigten ihr einen jungen Mann, in etwa in dem Alter, in dem er nun vor ihr kniete. Sie hatte ihn abermals gesehen, während er sich auf seiner Reise nach Toledo befand, sie sah eine Wiese im Sommer, die im saftigen Grün stand, der Regen prasselte herab und neigte die Gräser. Isenhart hielt einen schweren Streitflegel in den Händen, sein Blick war klar, entschlossen – und traurig. Er ging auf einen Mann zu, der von Kopf bis Fuß in einer Plattenpanzerung steckte. Eine unverwundbare Gestalt, dunkel und nicht minder entschlossen, die ihre Hände aus Metall um den Griff einer Zweihänderklinge mit orientalischem Muster gelegt hatte und ihrerseits auf ihn zuschritt.
Ein Blitz hatte gleißend das Himmelszelt durchzogen und den Traum beendet.
Vielleicht war es sein Tod, mit dem zu messen er sich auf dieser Wiese anschickte. Sophia wusste es nicht, sie wusste nur, dass Isenhart nicht alt werden würde. Das war gewiss. Und die Trauer um ihn würde sie in zwei Stücke reißen und nie mehr ganz sein lassen.
Dessen eingedenk reichte sie ihm ihre Hand und nickte, und die Vibration der Glocke, die der mächtige Klöppel hervorgerufen hatte, tönte über das Kloster, der Spatz flatterte davon, die Zeit senkte sich wieder in ihre Läufte, alles fand zurück in den Raum.
»Meine Augenblicke sollen deine sein und deine die meinigen«, sagte sie.
Isenhart war irritiert von einem Schluchzen, das an sein Ohr drang – obwohl Sophias Mund geschlossen war. Erst mit Verzögerung begriff er, dass es von Oberin Adina stammte, die seinem Antrag gelauscht und nun Sophias Reaktion gehört hatte.
Er erhob sich, legte seine andere Hand auf die Sophias und blickte ihr in ihre grünen Augen. »Ich werde dir ein guter Mann sein«, versprach er und brachte sie damit zum Lächeln.
»Ich weiß«, erwiderte Sophia mit ruhiger Stimme, obwohl das Herz ihr bis zum Hals schlug.
Der Weg zurück nach Heiligster wäre mit etwas gutem Willen an einem Tag zu bewältigen gewesen, aber Isenhart behauptete, sein Pferd würde den linken Vorderlauf nachziehen, weswegen er Sophia den Platz im Sattel überließ und sein Ross am Zügel führte.
Sie hatte das Nachziehen nicht bemerkt, es schien nicht sonderlich augenfällig zu sein, aber sie war nicht so dumm, die Sache näher zu erörtern. Isenhart schien es nicht besonders eilig zu haben, und ihr erging es nicht anders.
Gegen Abend, sie waren eine Weile einem Bachlauf gefolgt, schlugen sie in Ermangelung einer anderen Nachtstatt ein Lagerauf, nicht zu früh, denn von Westen zog eine schwere Regenfront auf. Dunkle Wolken, von einem giftigen Gelb durchzogen, aus deren Mitte sich immer neue Gebilde aufblähten. Weit droben zuckten die Blitze, als lägen die Engel in schwerem Gefecht. All das noch ohne jeden Ton, ohne ein Geräusch. Stumm.
Zwei Pappeln hatte der Herrgott nur dreißig Fuß vom Bach so nahe beieinander bestimmt, dass sie wie siamesische Zwillinge ineinander verwachsen waren und sich zur Bachseite hin geöffnet hatten, ein Fächer aus Wurzeln, die suchend aus den Stämmen in die Luft starrten und sich dann, einen Bogen nach unten beschreibend, in den Erdboden versenkten.
Isenhart führte drei Decken mit sich, etwas Stroh, all das breitete er in dem niedrigen Hohlraum aus, den die Pappeln bildeten. Das Pferd band er an eine Stelle, über der
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