Isenhart
war verunsichert. Sie hatte keine Ahnung, was ein Backfisch war, außerdem fragte sie sich, ob es zum Wandel vom Mädchen zur Frau dazugehörte, sich von Männern so berühren zu lassen.
»In jedem Mann haust auch ein Wolf«, pflegte ihre Mutter zu ihr und Sophia zu sagen.
Alexander von Westheim begann zu lachen. Er löschte das Feuer und kroch unter seinen Wagen, um dort vor Wind und Regen geschützt zu schlafen. Anna kam sich benutzt und dumm vor. Andererseits hatte sie den fahrenden Händler auch benutzt. Verwirrt zog sie sich in ihre Kammer zurück.
»Was ist ein Backfisch?«
Ihre Mutter sah Anna ratlos an: »Ich weiß es nicht, wieso fragst du?«
Ihrem Vater wagte sie diese Frage nicht zu stellen, aber das amüsierte Lächeln Walther von Ascisbergs nahm sie in Kauf.
»Der Begriff stammt aus der Sprache der Seeleute«, erklärte Walther ihr, »haben sie einen Fisch gefangen, der noch zu klein ist, um ihn zu essen oder zu verkaufen, werfen sie ihn ins Meer zurück, um ihn vielleicht später zu fangen. Ein Backfisch ist einfach noch nicht reif genug für den Fang.«
Anna begriff, dass Alexander von Westheim sie ausgelacht hatte, sie fühlte sich belächelt und gedemütigt. Außerdem machte sich ehrliche Entrüstung in ihrer jungen Brust breit: noch nicht reif genug für den Fang?
Alle Welt jedenfalls zollte ihrer Veränderung auf die eine oder andere Weise Tribut. Bis auf Isenhart.
Isenhart war der Sohn des Schmieds, er roch nach Dämpfen und Esse. Für sein Alter war er zu klein, trotzdem überragte er sie um eine Kopfeslänge. Er gehörte zum Gesinde, und es war weithin bekannt, was ihr Vater von Verbindungen zwischen dem Adel und diesem Stand hielt.
Trotzdem war es ihm gelungen, die Sympathie, wenn nicht gar Freundschaft ihres älteren Bruders Konrad zu gewinnen. Das war ungewöhnlich, denn für gewöhnlich hielt es niemand länger als eine Viertelstunde mit Konrad aus. Auch war Anna zu Ohren gekommen, er triebe mit seinen Fragen Vater Hieronymus in den Wahnsinn.
Von klein auf meinte sie zu spüren, dass Isenhart anders war.
Sophia, ihre kleine Schwester, die sich in nahezu allem von ihr unterschied, war wenigstens in diesem einen Punkt einer Meinung mit ihr. Und sie wusste auch, weshalb: »Isenhart hat das Jenseits gesehen.«
Sophia hatte die Wortkargheit von ihrem Vater, sie öffnete den Mund nur, wenn es sich gar nicht umgehen ließ.
Die Wahl ihres Umgangs flößte den Menschen, die sich Gedanken darüber machten, Angst ein. Es gab für Sophia nur zwei Arten von Kindern. Solche, mit denen sie sich abgab, und solche, die vor ihrer Zeit starben.
Mit Ludwig etwa, Isenharts kleinem Bruder, beschäftigte sie sich kaum. Anderthalb Jahre nach seiner Geburt raffte Ludwig die Grippe dahin.
Man sagte, Sophia habe das zweite Gesicht.
Als Hieronymus wegen seiner Abszesse mit dem Tod rang, teilte Sophia die Sorge der anderen um den Geistlichen nicht. Sie hatte von ihm geträumt. Er stand in seiner Kutte neben dem Fährmann auf einem Floß. Seine Haare waren grau. »Der Herr ruft ihn noch nicht«, stellte Sophia daher fest.
Hieronymus konnte sich gar nicht entscheiden, wen von beiden er unheimlicher fand: Isenhart oder dieses Mädchen, das merkwürdige Dinge von sich gab, etwa als Kaiser Friedrich Barbarossa samt Gefolge an der Burg von Laurin vorbeizog. Man konnte den prächtigen Tross von der Brustwehr aus sehen. Sophia war noch klein, vielleicht vier Jahre alt. Sigimund hielt sie auf dem Arm. Er deutete auf den Kaiser.
»Er kriegt keine Luft«, sagte Sophia bestürzt.
»Doch«, widersprach Anna, »er atmet doch.«
Aber Sophia hatte nur den Kopf geschüttelt.
Mit dem, was sie über Isenhart gesagt hatte, kehrten Annas Gedanken an ihren Ausgangspunkt zurück. Er hat das Jenseits gesehen, was sollte das bedeuten? Hatte er den Tod eines Menschen mit ansehen müssen?
Auf alle Fälle unterschied Isenhart sich von all den anderen Jungen in seinem Alter. Und er war, ihr Vater und Bruder ausgenommen, der Einzige, der ihr nicht auf den Hintern starrte.
Natürlich war er nicht adlig, durch seine Adern floss das Blut eines Pinkepanks. Aber was hieß das schon?
Als ihr Vater Sophia und sie vor wenigen Wochen zum Markt nach Grüningen mitgenommen hatte, wo Bauern und Händler Dinge des täglichen Lebens feilboten, waren sie auf Maximilian von Grundauf und seinen sechzehnjährigen Sohn Dolph getroffen.
Während Maximilian und Sigimund nach Höflichkeiten Neuigkeiten austauschten, war Dolph damit beschäftigt,
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