Isenhart
sich vor Anna aufzuplustern. Nachdem er seine Reisen nach Mainz und Regensburg erwähnt hatte, streifte er beiläufig den Reichtum der Ländereien seines Vaters, die eines Tages an ihn fallen würden, betonte seinen Ärger über jenen Schnupfen, der ihm bei der Teilnahme am Kreuzzug in die Quere gekommen war (»Ich erkälte mich sonst nie, und dann das. Ich war untröstlich«), und versuchte ein Kompliment: »Wenn du ein breiteres Becken bekommst, bist du bestimmt eine gute Partie für einen Nobile.« Er lächelte ihr jovial zu, als wolle er sagen: Kopf hoch, das wird schon noch.
Anna und Sophia warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Da er ihr ohnehin keine Beachtung schenkte, stahl Sophia sich bei nächster Gelegenheit davon.
Als Dolph von Grundauf schließlich bemerkte, dass er mit Anna quasi allein war, presste er sich an sie und seinen Mund auf ihre Lippen. Anna entwand sich seinem Griff und stieß ihn zurück, ihre Augen funkelten vor Zorn.
»Zier dich nicht so«, brachte Dolph mit hochrotem Kopf hervor, »so was Besonderes bist du auch nicht.«
Auf dem Weg zurück wischte Anna sich immer wieder über ihre Lippen und verzog dabei vor Ekel das Gesicht.
»Iiih«, kommentierte Sophia, »der hatte so wulstige Lippen.«
»Und strohdoof war er auch«, fügte Anna hinzu.
»Doof von Grundauf«, platzte es aus Sophia heraus. Sie kreischten los vor Lachen, Sigimund schmunzelte, und als sie die heimische Burg erreichten, kicherten die Schwestern immer noch vor sich hin.
Dolph von Grundauf mochte zwar aus adliger Linie stammen, aber Isenhart übertraf ihn an Charakter und Benehmen dutzendfach.
Anna hatte beschlossen, dass er der Erste sein sollte, der sie küsste.
»Also, ist es jetzt etwas Verbotenes oder nicht?«, fragte Anna in der Kapelle. Zufrieden nahm sie zur Kenntnis, dass Isenhart offenbar ihr roter Mund aufgefallen war.
»Chrétien de Troyes schreibt darin von der Suche nach dem Heiligen Gral«, sagte Isenhart und war dankbar, ein Thema zu haben, bei dem er nicht ständig ins Stottern geriet, »die Suche geht aus von einem König, der in Britannien gelebt hat: König Artus.« Er sprang auf und gestikulierte beim Reden. Seine Arme formten einen großen Kreis. »König Artus sitzt mit seinen Rittern an einem runden Tisch. Artus ist zwar der König, aber sie alle haben dieselben Rechte. Verstehst du? Es gibt keine Stände.«
Anna konnte kaum folgen, so schnell sprudelte alles aus Isenhart heraus, aber als sie die Begeisterung und Intensität sah, die Leidenschaft, mit der er all das vorbrachte, wünschte sie sich, er möge diese Leidenschaft in seinen Kuss legen.
»Ist das nicht eine großartige Idee? Eine Welt ohne Stände, in der jedermann ebenso viel wert ist wie sein Nächster. Es wäre eine Welt ohne Schranken. Und genau das«, Isenhart tippte erregt auf den Buchdeckel, »entwirft de Troyes hier. Als Erzählung getarnt, wohlgemerkt. Als Zerstreuung, die viel mehr beabsichtigt.«
»Mehr beabsichtigt?«, fragte Anna überfordert.
Isenhart nickte, er war direkt vor ihr zum Stehen gekommen. Wieder einmal stellte sie fest, was für ungewöhnlich lange Wimpern er hatte.
»Ja, mehr. Dieser Text soll ein Umdenken bewirken.«
Isenhart wollte diesen Mann unbedingt treffen. Er erinnerte sich, wie Walther von Ascisberg von fremden Seelen gesprochen hatte, die im Gleichklang schwangen. Chrétien de Troyes war so eine Seele.
Außerdem stand Isenhart unerhört nahe vor der Tochter von Sigimund von Laurin.
»Ich soll Pilze sammeln, magst du mir helfen?«
Selbst mit Blindheit geschlagen hätte ihn allein ihre Stimme erlegt.
Sie schnitten die Pilze knapp über dem Waldboden am Schaft ab und drückten den Stumpf zurück in die Erde, damit er nicht austrocknete, sondern nachwuchs.
Es war ein schwüler Sommertag, Wolken zogen auf, die Luft wurde stickig. Beim Pilzesammeln nahm Anna allerlei Posen ein,von denen sie hoffte, sie könnten Isenhart ermutigen, sich ihr zu nähern. Hin und wieder berührten sich ihre Hände, als sie gleichzeitig einen Pilz in den geflochtenen Korb ablegten. Dann lächelten sie scheu und wandten sich schnell wieder den Pfifferlingen zu.
Isenhart hatte Anna schon manches Mal beim Pilzesammeln begleitet, aber heute bückte und bog sie sich dabei, dass das Zusehen eine reine Freude war und seinem inneren Auge Fantasien bescherte, für die er ausgiebig würde beichten müssen.
Nur zu gerne hätte er sie geküsst, aber vermutlich hätte sie ihn abgewiesen. Aber wenn er es nicht wagte,
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