Isenhart
Waffenbrüdern.
Die Furcht vor der unermesslichen Nichtigkeit ihres Seins riss sie zu dieser Verschwendung hin, die Angst des Bauches, dass das Paradies ein leeres Versprechen sein konnte, und seine Forderung, ihm hier und jetzt den Himmel zu bereiten, statt ihn in christlicher Tradition auf ein ungewisses vermutlich irgendwann zu vertrösten.
Nichts sah Isenhart, was er nicht auch im Lager von Erik von Owenbühl gesehen hätte. Geistliche verteilten die letzte Ölung, Mönche und Nonnen umhegten die Verletzten. Medici und Bader verödeten und nähten Wunden, entfernten Pfeil- und abgebrochene Schwertspitzen und amputierten großzügig.
Huren hatten sich unter die Unversehrten gemischt. Sie mussten sich ins Zeug legen, denn die erbeuteten Kinder, Mädchen wie Jungen, machten ihnen ebenso unfreiwillig wie kostenlos Konkurrenz. Links und rechts des Weges, den Isenhart und Thilmann nahmen, übten die Krieger Notzucht an denen, die sich nicht zu wehren vermochten, und alles Flehen, Bitten und Weinen half nichts.
Die Männer sprachen dem Met und Bier, dem Wein und dem Gebrannten zu. Der Alkohol und das Gefühl des Glücks, dieses Massaker unversehrt überstanden zu haben, lösten die Zungen. Sie tauschten ihre Erlebnisse aus, wobei jeder Hieb geschildert wurde; kein Augenblick blieb unerwähnt, und ein jeder war ein Held.
Thilmann stellte den Eimer neben einem Bader ab, der bereits einige Amputationen vorgenommen hatte und dem zwei Novizinnen mit aschfahlen Gesichtern assistierten.
Isenhart setzte seinen Eimer ebenfalls ab. »Ich leg mich schlafen«, ließ er Thilmann wissen. Dieser nickte. Isenhart wandte sich von ihm und dem Bader ab und hielt Ausschau.
Möglicherweise war Konrad nicht mehr unter ihnen. Vielleicht lag er unweit des Kirbachs und wurde wie alle anderen auch gefleddert. Und Sophia – Isenhart mochte gar nicht daran denken. Seine Schulter schmerzte. Seine linke Hand versicherte sich des Dolchknaufs, bevor er mit einer Geste eine Nonne stoppte: »Wo finde ich die Gefangenen?«
Die Nonne deutete hinter sich. »Seht Ihr die Trauerweide? Dahinten, am Rande des Lagers?«
»Ja.«
»Da hat man sie zusammengepfercht.« Sie wandte ihm wieder ihr Gesicht zu, in ihre Miene hatte sich Argwohn geschlichen: »Warum fragt Ihr?«
»Ich muss einen Wachtposten ablösen«, sagte Isenhart. Seine Lüge glättete die Züge der Braut Christi.
Zuerst ging er am Lager an der Trauerweide vorbei, um sich einen Überblick zu verschaffen. Rund vier Dutzend Gestalten suchten unter dem ausladenden Baum und seinem Blattwerk Schutz vor dem Regen. Isenhart konnte keine Alten ausmachen und nur eine Handvoll Kinder, die sich mit großen, ängstlichen Blicken im Schein der beiden Fackeln zusammenkauerten, in denen immer wieder Regentropfen zischend vergingen.
Leibeigene waren nur einträglich, wenn Kraft und Zähigkeit sie zu harter Feldarbeit befähigte. Alles andere war der Mühe und der Nahrung nicht wert, die man in ihr Überleben investieren musste. Deshalb fanden sich keine Alten und keine dürren Gestalten unter den Gefangenen. Dieser Auslese folgend, schloss Isenhart, hätte die Meute einen Walther von Ascisberg erschlagen, statt ihn mitzunehmen.
Hinter der Trauerweide schloss sich eine Felswand an, die das Areal der Gefangenen zu zwei Dritteln begrenzte, wie er im Vorbeigehen feststellte. Das restliche Drittel grenzte an einen steilenAbhang, an dessen Senke die Brabanzonen lagerten und unter anfeuerndem Gejohle zwei nackte Knaben mit ihren Piken traktierten und sich an deren entsetzten und gepeinigten Gesichtern ergötzten.
Der einzig mögliche Fluchtweg der Gefangenen führte daher exakt in das Lager, und dort hatte man zwei Wachmänner abgestellt. Isenhart trat den Rückweg an, gab vor, sich an einem Busch zu erleichtern, und warf einen Blick auf die zusammengewürfelte Gruppe unter dem Baum.
Er kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, rotes Haar im Schein der Fackeln schimmern zu sehen. Vergebens. Einige der Gefangenen hatten sich bereits zusammengerottet für die Nacht. So bildeten sie kleine, unförmige Haufen aus Armen, Beinen und Leibern. Bei Regen und Dunkelheit waren weder Konrad noch Sophia auszumachen.
Aber dort mussten sie sein, beschloss Isenhart, denn jeder anderen Mutmaßung wohnte ein Schrecken inne, den er nicht zu ertragen bereit war.
Die beiden Wachposten abzulenken, schätzte er als unmöglich ein. Einer ließ sich unter einem geeigneten Vorwand sicherlich weglocken. Und dann? Wie sollte er den
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