Isenhart
glänzenden Finger aus der Tasche und zeichnete ihm das Kreuz auf Augen, Ohren, Nase und Lippen. Und im Anschluss auf die Brust, das Herz, die Schultern, Hände und Füße. »Ich salbe diese Hände mit geweihtem Öl, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, sprach der Geistliche dabei, »auf dass getilgt werde, was sie durch unerlaubtes oder schändliches Tun angerichtet haben. Der Allmächtige verzeihe dir, was du gesündigt hast durch deine Sinne. Durch Sehen, Hören, Reden, Riechen, Tasten und Tun. Amen.«
Christoph von Müllersen begann zu weinen. »Ich will nicht sterben«, flehte er.
Der Priester nickte. Er fuhr mit der Hand in einen zweiten Lederbeutel und vollführte dann mit der Hand eine ruckartige Bewegung ganz so, als wolle er ihm eine Maulschelle geben. Doch er berührte ihn nicht, weil er die Hand rechtzeitig zurückzog – auf diese Weise besprenkelte er Christoph von Müllersen mit Weihwasser.
Isenhart wusste, wozu das gut war: um die Dämonen zu vertreiben.
Er hob seinen linken Unterarm. Jemand hatte ihm den Pfeil entfernt und seine Wunde mit einem Verband aus Tonerde, Schimmelpilzen und ein paar Eichenblättern versorgt.
Schimmelpilze eignen sich hervorragend gegen jede Art von Entzündung, hörte er seinen alten Lehrer sagen.
Auch seine Schulter war – offenbar mit den identischen Heilmitteln – bandagiert worden. Zwar spürte er tief drinnen am Gelenk nach wie vor ein Brennen, aber die Intensität war auf ein erträgliches Maß abgeklungen.
Jemand ging neben ihm in die Hocke, Isenhart blickte auf. Im Halbdunkel erkannte er Lugardis in ihrem Habit, die ihn mit einem sorgenvollen Blick bedachte. »Wer hat meine Wunden versorgt?«, fragte er.
»Ich.«
»Das hast du hervorragend gemacht«, lobte Isenhart und bemerkte, wie schwach er klang, »weißt du etwas über mein Weib oder Konrad?«
Lugardis schüttelte den Kopf, in ihrem Blick lag Bedauern. »Schwester Clementia hat Euch auf dem Feld entdeckt und mit einem Maulesel hierherbringen lassen.«
»Wie lange liege ich schon hier?«
»Beinahe drei Stunden.«
Isenhart entfuhr ein tiefes Seufzen. Drei Stunden waren lang, aber gemessen daran, dass er aufgrund seiner Verletzungen auch erst nach zwei Tagen hätte erwachen können oder sogar gar nicht, erschienen ihm drei Stunden verschwindend gering. Hätte er gewusst, was er nur einige Stunden später erfahren würde, ein schmerzlicher Schrei hätte sich in die regnerische Nacht erhoben und für Augenblicke die Welt umspannt. Es war ein Segen, eine göttliche Gnade, die ihn im Moment davor verschonte.
Lugardis reichte ihm eine Holzschale mit einer Brotkruste. Isenhart setzte sich auf, nahm die Schüssel entgegen und roch daran. »Erbsen?«, fragte er.
Lugardis nickte: »Erbsenbrei und Schweinspfoten.«
Von so einer Kombination hatte Isenhart noch nie zuvor gehört, aber der Hunger brach sich Bahn. Mit einer Gier, die ihm selbst wenig schicklich erschien, schob er den Brei mittels der Brotkruste in sich hinein. Die Erbsen waren noch lauwarm.
»Welchen Ausgang hat die Schlacht genommen? Lebt Erik von Owenbühl?«
»Sie haben ihm einen Unterarm abgesägt«, antwortete die Novizin, »aber er ist wohlauf. Und Haslach ist sein. Am Kirbach hat es sich entschieden. Joseph von Vöhingen musste sich mit den Gefangenen zurückziehen.«
Mit den Gefangenen.
Noch gab es Hoffnung.
Mit einem letzten Seufzer an die Welt sackte der Kopf von Christoph von Müllersen beiseite, damit sein bußfertiger Geist diese Fessel des Körpers hinter sich lösen und dem Schöpfer selbst gegenübertreten konnte. Da war der Geistliche schon weiter und spendete der Reihe Verwundeter zu Isenharts Linken Trost und Zuversicht.
Zu beiden Seiten des Kirbachs lagen die Erschlagenen in abnorm anmutenden Verrenkungen, während der Regen unablässig auf ihre Körper prasselte. Fledderer waren unterwegs, Alte und Kinder, Mädchen wie Jungen, die zwischen den Toten hin und her huschten und die Vögel aufscheuchten, die sich diesen Schmaus nicht entgehen ließen, obwohl es Nacht war.
Die Erstarrung, die die Erschlagenen im Augenblick des Todes allesamt erfasst hatte, würde ihren Schmerz, ihre Verblüffung, ihre Angst für ein, zwei Tage konservieren, bevor die Fäulnis ihnen nach und nach ihre Persönlichkeit raubte.
Gebückt schlich Isenhart über das Schlachtfeld. Mit dem Anblick eines jeden Toten erhöhte sich der Druck auf sein Herz. Wofür hatten sie alle sich aus dem Leben reißen lassen, aus dem
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