Isenhart
zweiten Mann töten? Lautlos und ohne dass ihn jemand dabei beobachtete?
Unwillkürlich schüttelte Isenhart den Kopf. Selbst wenn ihm das gelang – und er war kein Krieger, das Töten nicht seine Profession –, würde er nicht unbemerkt bleiben.
Eine der beiden Wachen schaute in seine Richtung. Er bückte sich, sammelte etwas Reisig und ein paar halbwegs trockene Zweige ein und ging damit zu einem offenen Feuer, das auszugehen drohte. Das Reisig entflammte sich sofort, als er es in die Glut warf.
Isenhart stocherte mit den Zweigen im Feuer herum, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Mit einer Konfrontation war niemandem geholfen. Im Moment war er selbst die einzige Chance, die Sophia und Konrad besaßen. Sich überwältigen zu lassen, wäre auch ihnen gegenüber fahrlässig gewesen.
Er kam aus Toledo zurück als ein anderer, erinnerte er sich an die Worte Walthers über seinen Vater. Und als ein anderer erhob Isenhart sich jetzt vom Feuer. Er ging mit festen, zielstrebigen Schrittenauf die beiden Wachleute zu und setzte eine entschlossene, leicht gereizte Miene auf, ganz so als störe ihn das Treiben um ihn herum bei wichtigen Gedanken und Entscheidungen, die zu fällen waren.
In dieser Pose erreichte er das Lager der Gefangenen. Die beiden Wachmänner sahen auf, die Griffe um ihre Lanzen wurden fest, aber Isenhart kümmerte sich nicht darum, er tat so, als sehe er die kleinen Gesten nicht, sondern stoppte erst so kurz vor ihnen, dass sie einen Schritt vor ihm zurückweichen mussten.
»Bringt mir Sophia und Konrad von Laurin. Mein Herr wünscht sie zu sehen.«
Die beiden stutzten.
»Es eilt. Joseph von Vöhingen ist ungehalten«, fügte er hinzu, um ihnen keine Zeit zum Denken zu geben. Der Mann zu seiner Linken machte kehrt und ging zwischen den Gefangenen umher: »Konrad von Laurin, ist hier ein Konrad von Laurin? Oder Sophia von Laurin?«
Isenhart hoffte inständig auf ein Zeichen, auf eine Hand, die sich hob, einen Blick wenigstens. Gleichzeitig beschäftigte er den zweiten Mann. Er wies ihn auf das Husten und Keuchen hin und ermahnte ihn, den Gefangenen ein Feuer einzurichten, da ihnen mit Kranken nicht gedient sei.
Dann endlich kam der andere Wachmann zurück, er schob zwei Gestalten vor sich her. Der einen fielen die roten Haare über die Schultern, und sie stützte die andere, die den Kopf merkwürdig gesenkt hielt und deren Füße sich nur tastend den Weg über den Boden bahnten.
»Konrad und Sophia von Laurin«, meldete ihm der Mann.
Dann traten sie in den Lichtschein der Fackel. Sophias Gesicht war von tiefen Schnitten verunstaltet. Jemand war ihr mit einer Klinge kreuz und quer durch das Gesicht gefahren, hatte die Wangen aufgeschlitzt und mit der Schneide in Nase, Brauen, Mund und Kinn Furchen bis hinunter zum Knochen getrieben.
Isenhart empfand Erschütterung, Ohnmacht und Schuld. Eine Schuld, die er niemals würde tilgen können, die wie ein Fluch für den Rest seines Lebens an ihm haften würde wie eine besonders hartnäckige Klette. Der Täter hatte genau gewusst, was er ihr antat. Wenn man sie bald nähen würde, würde Sophia zwar noch so etwaswie ein Gesicht behalten. Aber jeder Schnitt durch ihr Antlitz hatte tiefe Risse in ihre Seele getrieben. Die Gewissheit, unwiderruflich ihre Schönheit eingebüßt zu haben, vielleicht ihre Anmut, ganz gewiss aber ihr Selbstverständnis, darin bestand der eigentliche Schmerz. Der dauerhafte. Derjenige, den man nicht beseitigen konnte.
Jeder Blick ins Wasser würde Sophia daran erinnern und den Schmerz erneuern. Wie die Kinder, die sie entsetzt anstarren würden, gleichzeitig abgestoßen und fasziniert von dem zerfetzten Gesicht, von diesen Einzelteilen, die bemüht wären, ein Ganzes darzustellen. So, wie Konrad durch seine bloße Existenz ein Stachel im Fleisch des Abtes von Mulenbrunnen gewesen war, würde Sophia durch ihre Narben bis zum letzten Atemzug daran erinnert werden, dass sie einst eine schöne Frau gewesen war.
Ihr Blick war klar, sie sah Isenhart in die Augen. Tränen hatten ihre Spuren durch das verkrustete Blut gezogen, und Isenhart verstand nun auch, warum. Sie hatte nicht ihr eigenes Leid beklagt, sie hatte die Tränen um ihres Bruders willen vergossen.
Als dieser den Kopf hob, erkannte Isenhart die Brandblasen, deren Form und Aussehen ihm noch allzu gut aus jener Nacht in Erinnerung waren, in der Sigimund von Laurin mithilfe des glühenden Schürhakens die Wahrheit über das verschwundene Herz seiner Tochter Anna aus
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