Isenhart
Alexander von Westheims Haut zu brennen versucht hatte.
Rund um die Augen, über dem Nasenrücken und der Stirn waren sie aus der verbrannten und blutigen Haut getreten, um wild wuchernde Trauben aus kleinen und großen Wölbungen zu bilden. Auf den verglühten Brauen, den Lidern und den Tränensäcken sprossen sie so reichhaltig, dass sie Konrad jede Möglichkeit des Sehens nahmen.
Aber Konrad von Laurin konnte ohnehin nichts mehr sehen. Man hatte ihn geblendet, begriff Isenhart, seine Augäpfel waren verdampft. Hinter den Schwellungen mussten sich zwei leere, wunde Höhlen verbergen.
Isenhart zweifelte keinen Augenblick, wer für die beiden Entstellungen verantwortlich war. Man hatte nicht beabsichtigt, Konrad oder Sophia zu strafen, nein, sie waren lediglich Mittel zum Zweck,zum Zweck, ihn zu strafen. Ihn daran zu erinnern, dass eine Verfolgung Hennings nicht ungesühnt blieb. Dass er, so klug er auch sein mochte, so überlegen er sich wähnen mochte, in Henning stets seinen Meister finden würde. Die Verstümmelungen, die seine Frau und sein Freund hatten erleiden müssen, waren eine Lektion.
»Seid ihr allein?«
Diese Frage riss Isenhart aus seinen Gedanken. Er nickte, zog seinen Dolch und durchtrennte damit die engen Hanffesseln, die man Konrad und Sophia um die Handgelenke gezurrt hatte.
Die beiden Wachleute schauten plötzlich auf. Ihre Blicke gingen an ihm vorbei. Auch Sophia hob die Augen.
»Es ist, wie Ihr vorhergesagt habt«, hörte Isenhart eine Stimme hinter sich, die ihm bekannt vorkam. Sie stammte nicht aus Heiligster oder Spira, ihre Herkunft lag weiter zurück in der Zeit. Er konnte sie ihrem Besitzer nicht sofort zuordnen und wandte sich um.
Nach all den Jahren erkannte Isenhart ihn trotzdem wieder, vor allem, weil ihm seine unbewegte Miene in Erinnerung geblieben war, als er von Sigimund von Laurin beleidigt worden war. Es handelte sich um Hannes von Lauffen, Kurier des Abts von Mulenbrunnen.
Dessen einstmals schwarzer Bart war mittlerweile grau geworden. Er hatte das Wort an einen Mann gerichtet, den er mit seinem Körper verdeckte. Nun trat er beiseite und gab den Blick frei auf Henning von der Braake.
Die Verblüffung, die folgte, ereilte sie alle. Niemand hatte mit der Schnelligkeit gerechnet, mit der Sophia ihrem Mann den Dolch entrissen und sich auf Henning gestürzt hatte. Deshalb gebot ihr niemand Einhalt, als sie den Mörder ihrer Schwester attackierte und ihm die blanke Klinge ins überraschte Gesicht stieß.
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39.
as ist unmöglich«, flüsterte Isenhart, als die Gestalt durch den gewölbten Eingang trat. Er trug wie Konrad, der neben ihm verharrte, schlecht geschmiedete Fußeisen, die bei jedem Schritt an der Haut scheuerten. Auf Handeisen hatte Hannes von Lauffen, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt stand, verzichtet.
»Wer ist das?«, fragte Konrad leise.
Nach Kräften hatte er sich gewehrt, als Simon von Hainfeld ihn zu blenden gedachte, wieder und wieder den Kopf zur Seite gerissen, obwohl man ihn mit Tritten und Schlägen traktierte. Sein Gesicht war vor Anstrengung schweißbedeckt, jener Schweiß, der unter der Hitze des glühenden Eisenstabes, den von Hainfeld ihm vor die Augen hielt, zischend in den gasförmigen Zustand wechselte.
Er brüllte auf. Niemals, hatte er geglaubt, würde ihm in seinem Leben, ihm, Konrad von Laurin, ein Angstschrei über die Lippen treten. Aber das Entsetzen darüber, seinen Sohn Sigimund – vorausgesetzt, er kam überhaupt mit dem Leben davon – niemals wiedersehen zu können, ließ ihn gellend aufheulen. In einer so hellen Tonlage, dass selbst Simon von Hainfeld, der unerträgliche Schmerzen beim Verdampfen des Augenlichts als Ursache vermutete, den glühenden Stab fallen ließ.
Die verbrannte, waidwunde Haut, die überall aufsprang, ließ seine Augen zuschwellen. Doch als sich in den frühen Morgenstunden die Sonne über den Ascisberg erhob, nahm er das Licht wahr. Ein konturloser, ausufernder Fleck, wie er sich bildete, wenn man ins grelle Sonnenlicht blickte und anschließend die Lider schloss. Den Lichtreflex entdeckte Konrad allerdings nur auf der linken Seite. Rechts blieb alles dunkel.
Als der Trupp, angeführt von Hannes von Lauffen und einigenSoldrittern, schließlich die Burg Laurin erreicht hatte, war dieses der einzige Moment, in dem Isenhart sich den Gedanken gestattete, dass Konrads Blindheit eine Gnade war.
Im Burghof herrschte reges Treiben, Kinder rannten umher, Gesinde ging seiner Arbeit nach. Es
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