Isenhart
Rahmen des Göttlichen bewegt. Tut er das nicht, ist er nicht gottgefällig.«
Er hat sie gründlich verunsichert, begriff Isenhart. Denn sie waren außerstande, zwischen dem freien Denken und dem gottgefälligen zu unterscheiden. Wo verlief die Grenzlinie?
»Wo die Grenze ziehen«, fuhr der Bischof fort, als habe er seine Gedanken gelesen, »das fragt ihr euch. Nun, keine Ähre auf Gottes Erde gleicht einer anderen, und so verhält es sich auch mit euren Gedanken. Jeder für sich muss einzeln betrachtet und auf Gottgefälligkeit beurteilt werden. Dazu sucht uns auf, wenn ihr unsicher seid, und kein Geistlicher, den ihr ins Vertrauen zieht, wird euch strafen, sondern vielmehr mit gutem Rat Beistand leisten.«
Isenhart war sich nicht sicher, ob das Gesinde erfasste, dass dieses Ansinnen an der Realität scheitern würde, denn die Leute schufteten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Von ihrem fünften, sechsten oder siebten Lebensjahr an bis ins Grab. Niemand, den bei der Feldernte ein neuer Gedanke ereilte, konnte den Weg zur nächsten Kirche auf sich nehmen und warten, bis ein Geistlicher ihm Gehör schenkte.
Als Isenhart zu Henning blickte, las er in seinen Augen dieselbe Conclusio.
Der Bischof von Spira komplettierte sie zum unfreiwilligen Trio: »Im täglichen Einerlei mag das nicht immer möglich sein. Sucht euer Heil daher in Arbeit und Gebet. Denn der beste Weg, einen falschen Gedanken zu vermeiden, mit dem ihr den Zorn Gottes und die Verdammnis in der Hölle auf euch zöget, ist es, sich gar nicht erst dem Denken zu überlassen.«
Von Scharfenberg ließ den Blick über die versammelten Menschen schweifen, falls jemand seine Stimme zum Widerwort erheben sollte. Doch zu seiner offenkundigen Zufriedenheit fand sich niemand.
Die Hölle, dachte Isenhart, deshalb sprach man von Gottes furcht. Wenn gute Worte nicht halfen, griffen die Vertreter des Schöpfers zum Mittel der Angst.
Dies alles mochte nicht die Schuld des Allmächtigen sein. Aber wie Walther einst gesagt hatte: Wer Recht von Unmenschen brechen lässt und tatenlos zuschaut, ist selbst einer.
Weiter konnte Isenhart seine Gedanken, die ihn unweigerlich auf die Fährte seines Vaters führten mit seiner Hypothese von der Nichtexistenz Gottes, nicht verfolgen, denn Konrad III . von Scharfenberg wandte sich nun direkt ihm zu. »Doch deswegen haben wir uns hier nicht zusammengefunden. Sondern um Recht zu sprechen und ein Urteil zu fällen.«
Der Bischof sah von ihm zu Konrad, der weiterhin den Kopf gesenkt hielt, schaute hinüber zu Wilbrand von Mulenbrunnen, der keinen Deut weniger reglos an seinem Platz verharrte, und ließ die Augen zu Henning von der Braake schweifen, dem er den Mund verboten hatte, der sich dafür aber in aufreizend provokanter Form weigerte, seinem Blick auszuweichen.
»Hier zwei, die dem Abt von Mulenbrunnen nach dem Leben getrachtet haben, dort einer, der wohl getötet hat, um sich ein Bildnis Gottes zu machen auf seiner Jagd nach der Seele. Und schließlich ein Dritter, der ihn dazu anstiftete und bei seinen Taten unterstützte. Die einen räumen einen Teil ein, die anderen streiten alles in Bausch und Bogen ab, insgesamt beschuldigen sie sich gegenseitig. Und nun tagt dieses Hohe Gericht, um ein gerechtes Urteil zu fällen. Bloß wie?«
»Knüpft sie alle auf!«, rief eine helle Frauenstimme und erntete zustimmendes Gemurmel. Edgar, der Scharfrichter, der nach wie vor im Durchgang verweilte, nickte kaum merklich.
Konrad III . von Scharfenberg machte sich nicht einmal die Mühe zu fragen, von wem der Einwurf stammte, denn erfahrungsgemäß blieb von den Forderungen, die lautstark aus der anonymen Deckung erhoben wurden, wenig übrig, sobald sich ein Gesicht dazugesellte, das die Forderung für alle sichtbar wiederholen musste.
Er hasste es, wenn er auf mangelnde Gottesfurcht stieß. Und hier fand er sie gleich vierfach vor, wobei Konrad von Laurin und Wilbrand von Mulenbrunnen sie aus Bequemlichkeit missen ließen – die beiden anderen aber aus Absicht. Die Ersteren würden sie bei entsprechender Behandlung sicher an den Tag legen. Die Letzteren nicht. Sie waren gefährlich. Sie gehörten zu jenen, die für ihre Überzeugung zu sterben bereit waren. Fanatiker des Wissens.
»Wenn wir alle aufknüpften, bräuchten wir kein Gericht«, antwortete er schließlich, »das aber erhebt uns über die Heiden und Ketzer. Doch was soll ich tun? Ich war kein Zeuge. Nichts von dem, was sie sich vorwerfen, habe ich mit eigenen
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