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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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zu einer Einheit verschmelzen.
    »Was sagt Ihr dazu, Henning von der Braake?«, fragte von Scharfenberg.
    »Ich wollte den Aufbau und die Funktionsweise des menschlichen Körpers begreifen«, antwortete dieser ruhig, und die Verbitterung in seinen Augen wich jenem Glanz der Begeisterung, den Isenhart nur zu gut kannte.
    »Wozu?«, fragte Konrad  III . von Scharfenberg.
    »Um mir Gewissheiten zu verschaffen. Für die Behandlung von Kranken und Siechen reicht es nicht, zu glauben zu wissen, wie der Mensch im Inneren beschaffen ist, sondern tatsächlich zu wissen. Ich kann jetzt beweisen, dass die Vier-Säfte-Theorie dem Kranken mehr schadet als nutzt und …«
    »Es ist widerwärtig genug«, unterbrach der Bischof, »dass Ihr die Schöpfung des Herrn entweiht habt. Aber für einen Blick in das Innere muss man nicht töten.«
    »Aber man muss es, wenn man die Seele entdecken will.«
    Obwohl die Leute um ihn herum erschauerten, kam Isenhart nicht umhin, Henning für dessen klare, offene Haltung Respekt zu zollen. Während Wilbrand sich in leicht durchschaubare Lügen flüchtete – Konrad  III . von Scharfenberg erwies sich als zu intelligent, um sich davon blenden zu lassen –, verschwieg von der Braake seine Überzeugungen nicht. Und das in der Gewissheit, dass seine Haltung ihn das Leben kosten konnte.
    Der Bischof trat an ihn heran, angewidert von den Dingen, die dieser Mann getan hatte, und zu gleichen Teilen fasziniert davon. Vielleicht hätte er sogar gerne mit eigenen Augen gesehen, was Henning mit seinen Augen gesehen hatte. Denjenigen Augen, die dem Blick des Bischofs nicht wichen.
    »Die Seele«, nahm von Scharfenberg den Faden wieder auf, »wozu? Um dem Abt zu dienen? Sich seinen Schutz zu erkaufen?«
    Henning schüttelte den Kopf: »Ich wollte das Erbe meines Vaters vollenden.«
    »Das Erbe vollenden? Wer ist Euer Vater?«
    »Sydal von Friedberg.« Hennings Stolz über seine Herkunft war unübersehbar, er straffte sich und reckte ein wenig das Kinn vor. Ein leichtes Lächeln spielte nun um seinen Mund.
    »Von Friedberg«, sagte der Bischof nachdenklich, »Euer Vaterwar ein Ketzer, ein Häretiker, ein Feind der Kirche, und sein ganzes Leben war nicht dazu angetan, ihm nachzueifern.«
    Henning nickte: »Weil er den Glauben als Antwort auf alles infrage gestellt hat. Und damit den Heiligen Stuhl – auch Euch. Aber an seinen Fragen ist nichts Verwerfliches.«
    »Nichts Verwerfliches?«, fragte Konrad  III . von Scharfenberg, der mit einem solchen Widerwort nicht gerechnet zu haben schien.
    »Nichts Verwerfliches, in der Tat«, gab von der Braake zur Antwort, »denn der Glaube alleine lehrt uns Unwissenheit, er lehrt uns, mit Vorstellungen von der Wahrheit zufrieden zu sein, nicht mit der Wahrheit selbst.«
    »Gott steht über der Wahrheit«, stellte der Bischof von Spira klar.
    »Die Wahrheit ist, dass wir nicht gegen Ungläubige ziehen in unseren Kreuzzügen, sondern nur gegen Menschen, die an einen anderen Gott glauben. Und wer sind wir denn, dass wir meinen, wir müssten unserem Schöpfer zur Hand gehen, der mit einem Fausthieb ganz Jerusalem in Schutt und Asche legen könnte – wenn er die Muselmanen denn so hassen würde wie wir. Mit seinem Namen auf den Lippen, dieses Schöpfers, dessen Sohn uns die Nächstenliebe ans Herz gelegt hat, in dessen Namen schlachten wir Frauen, Kinder und Alte ab. In Edessa haben sie den Schwangeren die Kinder aus den Bäuchen geschnitten! Deus vult, haben sie gebrüllt! Was ist das für ein Glauben, der so etwas zulässt? Mehr noch: der so etwas einfordert? Und noch schlimmer: Was ist das für ein Glauben, der das nicht verhindert? Es kann jedenfalls keiner sein, dem man sich anschließen sollte, wenn man die Menschen liebt. Die Meute, die damals in Edessa einfiel, folgte dem Glauben. Wäre sie dem Wissen gefolgt, sie hätte das Heilige Römische Reich nie verlassen.«
    Jede Farbe war dem Bischof aus dem Gesicht gefahren.
    Tauche den Pfeil der Wahrheit in einen Topf mit Honig, bevor du ihn abschießt, das hatte Walther sie gelehrt. Henning hatte den Topf ausgelassen. Isenhart empfand eine Bewunderung, die er eigentlich nicht fühlen wollte. Nicht für einen Mörder.
    Konrad  III . von Scharfenberg blieb die Unruhe, die Hennings Worte unter dem Gesinde auslöste, nicht verborgen. »Es kann nur einen Gott geben«, entgegnete er. Das erste Mal meinte Isenhart inseinen Worten einen Hauch von Unsicherheit wahrzunehmen. Sie lag kaum verborgen unter dem Trotz, mit dem der

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