Isenhart
Stellvertreter des Herrn hoffte, Henning von der Braake in die Schranken weisen zu können.
»Das sagt Ihr, weil Ihr eingesperrt seid, eingesperrt wie ein Sklave«, konterte Henning.
»Ich bin nicht eingesperrt, mein Glaube macht frei.«
»Glaube ist das Gefängnis der Unwissenden«, sagte von der Braake, und Isenhart hätte jedes Wort unterschreiben können, »frei wären wir nur ohne Religion.«
Stille.
Niemand rührte sich, die Mehrzahl der hier Versammelten fand sich nicht in der Lage, die Stufe zu nehmen, die sie auf eine Ebene mit der philosophischen Debatte zu setzen vermochte.
»Wir könnten freie Menschen sein«, begann Henning von der Braake von Neuem.
»Schweigt!«, befahl der Bischof und unterband damit jegliche Kritik auf kirchliche Art: durch Verbot. »Alleine für Eure blasphemischen Reden gehörtet Ihr dem Tod überantwortet«, fuhr er fort und wandte sich nun an das versammelte Gesinde, »seht Euch diesen Mann an! Der einen Blick zu erhaschen glaubte auf das göttliche Gefüge der Schöpfung. Durch Denken!«
Beim letzten Wort verzog Konrad III . von Scharfenberg ein wenig das Gesicht, als hätte er etwas Verabscheuungswürdiges ausgesprochen. »Durch Denken!«, ermahnte er mit lauter Stimme und legte eine kurze Pause ein, »Denken ist nichts, wofür man bestraft gehört. Aber«, er sah in die Runde, und abgesehen von Konrad, der es nicht konnte, und Isenhart, der nicht wollte, wagte niemand seinen Blick zu erwidern, »es muss gottgefällig sein. Hätte dieser Mann hier Jesu zum Vorbild genommen, den Sohn Gottes, unseren Vordenker, der in seiner Bergpredigt die Gedanken von Barmherzigkeit und Nächstenliebe verkündet hat, er hätte nicht getötet, er hätte sich nicht an den Toten versündigt. Er hätte sich nicht aufgeschwungen, um Gott ebenbürtig zu sein!«
Der Bischof ging einmal auf und ab, wenige Schritte nur. Er beherrschte den Raum. »Freies Denken trägt schon den Keim des Irrtums in sich. Denn niemand ist ohne Fehl.«
Es gibt nichts Zwingenderes als die Logik, hörte Isenhart seinen alten Lehrer sagen. Ja oder nein. Schwarz oder weiß. Es gab nur zwei Zustände, die die Logik zuließ. Deshalb hatte sie auf die Frage, wie man den Irrtum vermeiden wollte, auch nur eine zwingende Antwort: sich mit Unwissenheit zu umhüllen. Wer nicht irren wollte, durfte nicht versuchen, wer nicht stolpern wollte, durfte den ersten Schritt nicht wagen. Den Fehler zu vermeiden konnte nur im Verharren gelingen.
»Es ist dem Glauben vorbehalten, ganze Berge zu versetzen«, sagte von Scharfenberg.
Und nur das Wissen erklimmt die Gipfel, ergänzte Isenhart in Gedanken.
»Euch den rechten Weg zu weisen«, nahm der Bischof den ursprünglichen Faden wieder auf, »dazu haben wir uns eingefunden, ganz gleich ob Priester, Prior, Abt oder Bischof. Oder Papst. Wir sind nur Stellvertreter seines Willens auf Erden. Und Wächter über das gottgefällige Denken.
Henning von der Braake hat sich bekannt in seiner Abwendung von Gott. Aber selbst wenn es ihm gelänge, einen kleinen Zusammenhang im großen Schöpferplan unseres Herrgotts zu erhaschen, er könnte dennoch eine kleine Spinne zertreten und wäre unfähig, alleine oder mit Tausenden seinesgleichen eine neue zu erschaffen.
Aber er hat sich bekannt und nicht geleugnet. Wer Kenntnis ablegt, kann geheilt werden. Durch Zuspruch, Mühsal oder Schmerz. Und deshalb lasst Euch die Fehlleitung des Henning von der Braake ein Beispiel dafür sein, wohin das freie Denken führen kann.
Es ist ein Funke in der Nacht, der das Stroh auf den Dächern eurer Hütten in Brand setzen kann, er kann euch entflammen und mit euch alle, die um euch sind, und er kann euch um euer Seelenheil bringen.«
Beklommenheit nahm von den Versammelten Besitz, ganz gleich ob Kinder, Weiber oder Mannsvolk. Konrad III . von Scharfenberg konnte es spüren, und es verlieh ihm Sicherheit, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden fielen. »Geht nicht nur in euch selbst und unterzieht euch der Frage eures Gewissens«, sprach er weiter, »achtet auch auf eure Mitmenschen, auf die kleinen Zeichen. Ob sie etwa zweifeln in ihrer Hinwendung zum Allmächtigen, denn dieFrage ist dem Wankelmut des Glaubens geschuldet. Zögert nicht, uns jene zu nennen, die euch diesbezüglich verdächtig erscheinen, denn wir werden sie nicht strafen, sondern um ihr Heil bemüht sein. Der freie Gedanke unterliegt keiner Norm, das liegt im Wesen seiner Natur. Aber fruchtbar ist er nur und allen dienlich, wenn er sich im
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