Isenhart
Augen gesehen. Und es gibt auch sonst niemand, der einen Eid schwören könnte.« Von Scharfenberg vollführte eine Vierteldrehung, sodass er Isenhart gegenüberstand. Sie trennten gut zehn Fuß. Doch die Distanz schmolz, weil der Bischof ihm bei den folgenden Worten tief in die Augen sah: »Kann ich mir anmaßen, im Namen unseres Herrgott, der alles gesehen hat, während ich nichts davon bezeugen kann, ein Urteil zu sprechen?«
In diesem Moment war Isenhart mit einem Schlag klar, worauf Konrad III . von Scharfenberg von Anfang an abgezielt hatte. Und auch, warum er Isenhart dazu auserkoren hatte. »Dann fordere ich ein Gottesurteil«, sagte er mit fester Stimme. Der Bischof zog zwar eine Augenbraue hoch, als missfiele ihm, dass ein Delinquent mitten in einer Verhandlung eines Hohen Gerichts so eine selbstbewusste Forderung an ihn richtete, doch das kaum sichtbare Lächeln, das über seinen Mund huschte, bestätigte Isenhart in seiner Annahme.
Der Grund dafür blieb ihm allerdings weiterhin verschlossen. Vorerst.
»Das steht ihm nicht zu!«, donnerte Wilbrand von Mulenbrunnen. Doch sah er den Bischof gänzlich unbeeindruckt.
»Ein Gottesurteil steht niemandem zu«, belehrte Konrad III . von Scharfenberg ihn mit so lauter Stimme, dass seine Worte gleichsam der Belehrung aller entsprach, »nur dem Schöpfer. Wer ihn anruft, dessen Stimme darf nicht ungehört verhallen. Und – angesichts der verzwickten Lage und mangels Zeugen – scheint es mir, dass das Hohe Gericht gut daran tut, dem Allmächtigen den Richterspruch zukommen zu lassen. Wer könnte ein besseres Urteil fällen als er?«
Niemand wagte zu widersprechen, auch Wilbrand nicht.
Gespannt blickte das Gesinde auf die vier Männer, zwischen denen es entschieden werden würde. Nur Edgar, der Carnifex, stellte eine leicht betrübte Miene zur Schau.
»Ich bin achtundsechzig Jahre alt«, warf Wilbrand von Mulenbrunnen ein.
»Man sieht es Euch nicht an«, versicherte Konrad III . ihm.
»Gegen einen jungen Gegner bin ich trotzdem im Hintertreffen.«
»Ihr dürft einen Stellvertreter wählen«, ließ der Bischof ihn wissen.
Der Abt ließ den Blick schweifen, bis er bei Simon von Hainfeld landete. Aber Henning schüttelte unmerklich den Kopf, mit seinen Augen beschwor er den Abt von Mulenbrunnen. Dieser zögerte kurz, bevor er einen Entschluss fällte und den Kopf schüttelte. »Ich kämpfe selbst«, stellte er fest und rief damit ein anerkennendes Raunen hervor, das durch die Menge glitt. Henning von der Braake nickte ihm zu, als wolle er sagen: gut gemacht.
»Dann werden wir das Urteil umgehend herbeiführen, draußen, vor den Toren«, verkündete Konrad III . von Scharfenberg, »und falls Euch etwas zustoßen sollte, Wilbrand – da sei der Herrgott vor –, kümmere ich mich persönlich um den Fortbestand Eurer Ländereien.«
Nun endlich erfasste Isenhart den Sinn von von Scharfenbergs Bemühungen. Darum ging es, um die Ländereien, um den Besitz derer von Laurin. Natürlich! Wenn der Abt im Streit um das Gottesurteil fiel, musste zunächst ein Nachfolger für sein Amt bestimmt werden. In dieser Interimszeit konnte der Bischof sich nicht nur die Burg unter den Nagel reißen, sondern vor allem die einträglichen Weinberge. Das, was Wilbrand einst Sigimund von Laurin unter dem Vorwand einer Fehde gestohlen hatte, das konnte Konrad III . von Scharfenberg nun der Diözese überantworten, falls der Abt den Ausgang des Gottesurteils nicht überstehen sollte. Genau das hatte ihm bereits unten im Gewölbe vorgeschwebt, als er von Isenhart das Schwert eingefordert hatte. Dieses war der Pakt, den Isenhart unwissentlich eingegangen war.
Die Verblüffung des Abtes, auf diese Weise hintergangen zuwerden, war Isenhart Bestätigung genug. Der große Fisch Wilbrand hatte den kleineren Fisch Sigimund geschluckt – und wurde nun seinerseits von einem noch größeren Raubfisch gefressen.
»Mein Herr ist blind«, brachte Isenhart vor, »er kann sein Recht im Kampf nicht wahrnehmen.«
»Auch er kann einen Stellvertreter wählen, der den Kampf für ihn austrägt«, ließ der Bischof ihn wissen.
Isenhart sah sich um, das Gesinde rückte unmerklich zurück. Niemand wollte in die engere Wahl fallen, keiner gefragt werden. Mutlosigkeit kam über ihn. »Da ist niemand, der für meinen Herrn einspringen könnte.«
»Dann springt Ihr ein«, empfahl der Bischof ruhig, in seinen Worten lag keine Süffisanz, »der Herr wird über Euch wachen und Euer Schwert
Weitere Kostenlose Bücher