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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Boden fördern, in ihre Blätter drücken«, fuhr er daher begeistert fort, »und wenn sie das können, warum sollten sie nicht auch die Fähigkeit haben, ihren Blättern diesen Saft wieder zu entziehen?«
    Es musste eine besondere Prüfung sein, der Gott ihn unterzog, dachte Hieronymus. Und er würde sich ihrer als würdig erweisen. »Das sind ketzerische Reden«, fuhr er Isenhart an, »es steht dir nicht zu, den Weltenplan unseres Herrn infrage zu stellen.«
    »Aber ich habe ihn nicht infrage gestellt.«
    Isenhart besaß kein böses Herz, das wusste Hieronymus. Er brauchte nur hin und wieder eine freundliche Hand, die ihm den rechten Weg wies. »Du bleibst hier, bis es zur siebten Stunde geschlagen hat«, kündigte er daher an, »bis dahin rezitierst du die Bußverse.«
    »Aber ich habe nichts Falsches gesagt«, entgegnete Isenhart, dem bewusst wurde, dass er sein Treffen mit Anna soeben um eineStunde verzögert hatte. Und es gab keine Gelegenheit, ihr das mitzuteilen. Konrad war selbstverständlich nicht im Bilde, es gab niemanden, den er mit einer Nachricht beauftragen konnte. Höchstens Marie.
    Sigimund von Laurin hatte dem Drängen seines Ältesten nachgegeben und sie zu Annas und Sophias Dienerin bestimmt. Hin und wieder urinierte sie noch in den Burghof, aber ansonsten erholte sie sich ausgesprochen gut von dieser grauenhaften Nacht bei Regensburg. Manchmal pfiff sie eine Melodie vor sich hin.
    Doch selbst, wenn er ihr eine Nachricht hätte zukommen lassen können, wäre es sinnlos gewesen. Marie sprach nicht mehr. Ob aus Unvermögen oder Vorsatz, ließ sich schwer sagen.
    Es kostete Isenhart sechs Versuche, die Fackel mithilfe von zwei Feuersteinen zu entzünden. Je eiliger man es hat, fiel ihm dabei auf, desto weniger scheinen einem die einfachsten Dinge zu gelingen. Möglicherweise konnte man den Zusammenhang mathematisch beweisen, überlegte Isenhart, während er mit eingezogenem Kopf durch den Fluchtgang lief.
    Sein Herz schlug höher, als er die kleine Höhle erreichte. Aber sie war leer.
    Isenhart stutzte. Er hatte sich in der Burg unter einem Vorwand zu ihrer Kammer begeben, Anna dort aber nicht angetroffen.
    Er war schon im Begriff wieder zurückzukehren, als ihm die Idee kam, die Sache durch Annas Augen zu betrachten. Sie war nach dem Schlag zur sechsten Stunde aufgebrochen, hierhergekommen und hatte auf ihn gewartet. Isenhart wandte sich noch einmal um und schwenkte seine Fackel langsam in einem Halbkreis herum, sodass ihm kein Winkel der Höhle verborgen blieb. Er entdeckte keine Fackel. Aber Anna musste eine benutzt haben. Am Boden des Fluchtwegs hatte sich hier und da Geröll angesammelt – wenn man nicht stürzen wollte, benötigte man den Feuerschein einer Fackel.
    War Anna überhaupt nicht hergekommen? Aber dann hätte vorne, beim Einstieg, eine zweite Fackel gelegen. Isenhart meinte sich zu erinnern, dort keine gesehen zu haben. Er versetzte sich erneut in sie.
    Anna war hier gewesen, sie hatte im Lichtschein der Fackel gewartet und es sich auf dem Lager bequem gemacht, und irgendwann war sie unruhig geworden, so wie er es jetzt war, sie hatte sich überlegt, was passiert sein konnte. Und vielleicht hatte sie auch versucht, sich in ihn hineinzuversetzen.
    Zu welchem Schluss konnte sie gekommen sein, überlegte Isenhart. Das gleichwinklige Dreieck schoss ihm plötzlich durch den Kopf. Von zwei bekannten lässt sich auf eine unbekannte Größe schließen.
    Anna war nicht in der Burg und nicht hier. Und eine Fackel fehlte. Beides zusammengenommen konnte nur bedeuten, dass sie mit der Fackel immer noch unterwegs war. Bloß wo?
    Draußen herrschte längst Dunkelheit, die Temperaturen waren eisig. Bedachte man diese beiden Umstände, gab es nur einen einzigen Ort, an dem Anna jetzt sein konnte – in Giselberts Hütte. Denn es war Mittwoch und der Carnifex mit Sicherheit unterwegs.
    Mit Erleichterung und Vorfreude machte er sich auf den Weg, den er noch nicht kannte, nämlich den zweiten Abschnitt des Fluchtweges, der hinter jenem schweren Wandteppich bei Sophias Kammer begann.
    Der Abschnitt führte tiefer hinab, um einen großen, unterirdischen Felsblock herum, und mündete in einer Wand aus Efeu. Isenhart steckte seine Hand hindurch, schob die Blätter beiseite und trat hinaus. Sofort sah er die Fußabdrücke im ansonsten unberührten Schnee. Sie führten in den Wald.
    Isenhart erkannte die Stelle wieder. Nur hundert Fuß weiter verlief der Bach. Er drehte sich um seine eigene Achse. Die

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