Isenhart
wandte sich ab und sprach dem Bier zu. Er würde sich eine Dienstmagd zulegen müssen, und während Ida im Sterben lag, fragte er sich, womit er all das verdient hatte. Unter welch ungütigem Stern er geboren worden war.
Isenhart wusch ihr mit einem Lappen das Gesicht und stillte Idas Durst. Er und Henrick saßen an ihrem Lager, Henrick weinte leise. Einmal stand sein Bruder auf, um nach den Cochins zu schauen, die mittlerweile zu siebt waren.
Isenhart nutzte die Gelegenheit: »Bin ich dein Sohn?«, fragte er ebenso leise wie eindringlich.
Idas Augen weiteten sich, sie richtete den Blick auf ihn, mit einem verzeihenden Lächeln entspannten sich ihre Züge. »Aber natürlich«, flüsterte sie, ihre kalkige Haut war von Schweiß bedeckt, »aber natürlich, mein Junge.« Mit schwacher Hand fuhren ihre Finger die Linie seiner Wange nach.
Die Blicke, mit dem sie Henrick oder den verstorbenen Ludwig bedacht hatte, waren ihm anders vorgekommen als die, die ihm galten. Tiefer und inniger. Gut, Ida mochte ihn, Isenhart hatte nicht vergessen, wie sie ihn vor Chlodios ungeduldiger Hand geschützt hatte. Und während er sich diese Momente in Erinnerung rief, schämte Isenhart sich wegen der Frage, die er seiner Mutter ausgerechnet auf ihrem Sterbebett gestellt hatte.
Zur achten Stunde hatte sich ihre Brust gehoben, ein Seufzen sich über ihre Lippen gequält, und mit ihm war alles Leben aus ihr gewichen.
Am Morgen des 17. Dezembers stand er an jener Stelle im Burghof, an der man Ida beigesetzt hatte. Es waren schon andere gekommen und gegangen, aber Idas Tod verdeutlichte ihm auf schmerzliche Weise, dass er die Menschen um sich herum nie als selbstverständlich nehmen konnte. Jeden konnte es plötzlich ereilen.
Jeder Moment ist voll der Möglichkeit, dachte Isenhart. Undnichts wirklich sicher. Alle Augenblicke sind nur fragile Zustände ohne jede Garantie aufs Fortbestehen.
Den restlichen Tag verbrachte Isenhart an der Esse, im Winter war die Arbeit mit der Glut ein Privileg. Außerdem ließ ihm Chlodios Zustand keine Wahl. Seit Idas Tod schüttete sein Vater einen Becher Bier nach dem anderen in sich hinein. Im Grunde war es die erste und letzte Tat eines jeden Tages.
Isenhart empfand tiefstes Mitleid für seinen Vater, den er als kalt und hartherzig bezeichnet hätte, und der nun auf rülpsende und torkelnde Weise ein Zeugnis seiner wahren Gefühle ausstellte.
Tatsächlich ließ Chlodio sich volllaufen, weil eine unstillbare Wut auf Ida in ihm tobte. Sie war von ihnen gegangen, hatte sich einfach in ein besseres Leben davongestohlen und ihn mit den Nichtsnutzen Henrick und Isenhart zurückgelassen. Dafür hasste er sie.
Als die Glocke die fünfte Stunde anmahnte, ließ Isenhart den Hammer sinken. Zur sechsten Stunde war er mit Anna im Fluchtgang der Burg verabredet.
Zwischen der zuweilen eintönigen Schmiedearbeit am Ofen und dem Moment, an dem sie ihre Körper aneinanderpressen und die Lust aufs Neue entfesseln würden, lag nur noch Hieronymus’ letzte Unterrichtsstunde.
Gemessen an dem, was ihn erwartete, empfand er die Lehrstunde, die Konrad und er früher so gefürchtet hatten, als ein sinnliches Hinauszögern.
Der Konrad, der aus Philippopolis zurückgekehrt war, war ein anderer.
Isenhart hatte es schon draußen am Ascisberg gespürt, bei ihrer ersten Begegnung. Gewissermaßen schloss er einen Fremden in die Arme.
Der Freund war in sich gekehrt, seit Wochen hatten sie kein Wort über das getauscht, was sich ereignet hatte. Isenhart drängte nicht, obwohl seine Neugier ein fast unerträgliches Ausmaß annahm.
Konrad war keineswegs gebrochen. Er lachte, machte seine Späße und begegnete allen mit Fürsorge. Es dauerte ein paar Tage, bis Isenhart begriff, dass statt eines nach Abenteuern strebenden Jünglings ein junger Mann aus Barbarossas Kreuzzug heimgekehrt war.
Dolphs Wunde, die ihm den Kehlkopf zerrissen hatte und ihn auf diese Weise für den kurzen Rest seines Lebens verstummen ließ, hatte sich auf dem Rückweg entzündet. Geschwächt von dem Kreuzzug und den zwei Tagen und Nächten in Philippopolis hatte sein Körper dem beginnenden Wundbrand nicht mehr viel entgegenzusetzen. Weinend, abwechselnd betend und ohne Stimme nach seiner Mutter rufend, hoffte er auf dem kargen Lager, das sie ihm wie jeden Abend bereitet hatten, der Herr möge ihn noch nicht zu sich rufen.
Aber Gott – seine Wege waren auch dieses Mal unergründlich – hatte offensichtlich andere Pläne, bei denen er keinesfalls
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