Isenhart
die Männer eingeholt hatten, saß niemand anderer als der fahrende Händler. Darüber hinaus erschien seine Aussage, er habe den Bernstein von Wilbrand von Mulenbrunn erhalten, höchst suspekt. Was sollte den Abt dazu bewogen haben? Warum sollte er einen Edelstein gegen ein paar Heilkräuter getauscht haben? Fragen, auf die Alexander von Westheim auch im Angesicht des glühenden Schürhakens keine Antwort zu geben imstande gewesen war.
Auch erinnerte sich Isenhart an die Blicke, mit denen der Händler den Körper der jungen Frau, der sich aus dem Mädchen Anna entpuppte, abtastete.
Und trotzdem widerstrebte es Isenhart, einen Wehrlosen mit Erde zu überschütten.
»Auch du«, richtete Sigimund von Laurin das Wort nun an ihn und reichte ihm eine Schaufel.
Isenhart ergriff sie, denn er fand nicht den Mut, sich zu weigern. Während Konrad sich richtig ins Zeug legte, achtete Isenhart darauf, die Erde lediglich auf die Beine des Händlers zu werfen.
Dieser begann erneut um Gnade zu flehen, die Nacht im Verlies habe ihn geschwächt, deswegen sei das Kreuzordal zu seinem Nachteil ausgefallen, wenn er sich nur zwei Tage erholen könnte …
Sigimund verbot ihm das Wort, Alexander von Westheim schluckte und schwieg. Seine ganze Verzweiflung, die sich eben noch in der Hektik seiner Gnadenappelle niedergeschlagen hatte, lag nun in seinen Augen, die er unverwandt auf Sigimund von Laurin heftete.
Als die ersten Stücke Mutterboden auf das Gesicht des Juden fielen, legte Giselbert die Schaufel beiseite, nahm am Kopfende des kalten Grabes Aufstellung und führte das dünne Holzrohr zum Mund des Mannes.
»Sperr den Mund auf«, sagte der Carnifex leise und vor allem – Isenhart fiel das auf – ohne jegliche emotionale Färbung. Kein Mitleid, kein Zorn, nur die sachliche Anweisung an den Delinquenten, dessen Kooperation nun benötigt wurde, um das Unternehmen seiner eigenen Hinrichtung zu einem gelungenen Ende zu führen.
Giselbert schob das Rohr in den Mundraum des Händlers, dessenGesicht bereits zum Teil von der kalten Erde bedeckt wurde. Einmal noch sah Isenhart die vor unglaublicher Panik weit aufgerissenen Augen, aber mit der nächsten Schippe lugte nur noch die Nase aus dem Erdhaufen. Nach zwei weiteren Schaufeln war nichts mehr von Alexander von Westheim zu sehen. Auch keine Regung des Juden war mehr zu beobachten, während ihn Schippe um Schippe tiefer ins kalte Erdreich presste.
Dünne Atemschleier stiegen aus dem Rohr in die Winterluft empor. Der Atem des Händlers.
»Wozu soll er noch atmen?«, fragte Konrad.
»Dazu dient es nicht«, erwiderte Giselbert ruhig, »er wird bald erfrieren. Dann kann seine Seele vom Herzen über den Mund entweichen und zum Schöpfer auffahren.«
»Dort wird sie kaum willkommen sein«, mutmaßte Konrad. Isenhart nickte unwillkürlich.
»Darüber wird alleine der Herrgott befinden«, wies Hieronymus sie zurecht, »aber wir dürfen ihr den Weg in Gottes Reich nicht verwehren, sonst wird aus dem Toten ein Wiedergänger, der uns alle aus Rache heimsuchen würde.«
Es war kalt, aber die Härchen an Isenharts Unterarmen stellten sich erst bei diesen Worten auf. Er warf noch einmal einen Blick auf das Grab, an dem nur das Rohr, das aus der Erde ragte, daran erinnerte, dass nur drei Fuß tiefer ein lebendig Begrabener lag. Damit, so überlegte Isenhart, handelte es sich auch nicht um ein Grab, denn das Wesen eines Grabes bestand darin, einen Verstorbenen zu beherbergen. Unter den zum Teil gefrorenen Erdschollen aber lag ein atmender Mann. Ein paar Handgriffe nur, und sie konnten ihn zurück ins Leben befördern. Aber niemand legte Hand an.
Die anderen Männer standen schwer atmend um die geschlossene Grube. Sigimund von Laurin gab dem Scharfrichter seinen Lohn, indem er die Münzen in dessen offene Hand fallen ließ.
Konrad spie voller Verachtung auf die Grube, bevor sie – mit Ausnahme Giselberts – den Weg zurück zur Burg antraten.
Sigimund von Laurin bemerkte aus den Augenwinkeln, wie energisch und durch das Ereignis der Hinrichtung gleichsam gestärkt sein Sohn ausschritt. Befreit und tatendurstig.
Möglicherweise war das ein Vorrecht der Jungen, überlegte Sigimund, denn er selbst spürte diese Kraft, die seinen Sohn zu durchfließen schien, nicht. Das Verbrechen war gesühnt, sicherlich. Aber warum empfand er darüber keine Erleichterung? Nicht einmal Genugtuung wollte sich einstellen.
In diesem Moment vermisste er Walther von Ascisberg. Sein Freund hätte Antwort
Weitere Kostenlose Bücher