Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
Vom Netzwerk:
fünfhundert, in Mainz schließlich – obwohl der dortige Bischof ebenso Partei für die Juden ergriffen hatte – wütete Emichos Mob besonders gründlich. Über tausend Menschen, auch Frauen, Kinder und Alte, wurden erschlagen.
    Einer der gefährdeten Juden war Aaron Rubinstein, Steinmetz und Kaufmann, der in Mainz einiges Ansehen genoss. Dieter von Ascisberg, sein stärkster Konkurrent vor Ort, tauchte am Abend vor Emichos Angriff auf und überredete Aaron, mit Kind und Kegel Mainz zu verlassen. Kegel, uneheliche Kinder, hatte Aaron nicht.
    Aaron fragte sich, ob Dieter von Ascisberg die Gunst der Stunde nutzen würde, um den Rivalen und dessen Familie ans Messer zu liefern und anschließend dessen Geschäfte zu übernehmen. Aber Dieter war soeben von Tuchgeschäften aus Worms zurückgekehrt und schilderte Aaron die Vorkommnisse von dort so bildhaft, dass dieser sich zur Flucht entschloss.
    Dieter von Ascisberg schmuggelte die Rubinsteins – insgesamt 14 an der Zahl – zwischen seinen Handelswaren versteckt durch die Linien von Emichos Marodeuren. Und sicher bis nach Spira, wo die Rubinsteins sich im Judenviertel niederließen. Bischof Johann  I ., entsetzt von den Übergriffen in seiner Stadt, hatte jedem Juden, der sich entschließen sollte, nach Spira zu kommen, seinen Schutz zugesagt.
    »Warum habt Ihr das getan?«, soll Aaron nach geglückter Mission gefragt haben.
    »Ich habe sonst keinen Konkurrenten von Eurem Rang«, soll Dieter zur Antwort gegeben haben, »wenn ich mir Euch nicht erhalte, sinken meine Maßstäbe und ich werde nachlässig, und mein Geschäft wird zugrunde gehen. Ich benötige Euch als Instanz, mit der ich mich messen kann.«
    Simon Rubinstein kannte diese Geschichte in- und auswendig, jedes Wort, jeder Blick, jede noch so kleine Geste hatte in den Überlieferungen ihren angestammten Platz.
    Aus diesem Zwischenfall erwuchs eine tiefe Freundschaft zwischen den von Ascisbergs und den Rubinsteins, die zu Zeiten von Dieter und Aaron auch ökonomisch zu beider Vorteil gedieh.
    Diese Zusammenarbeit fand ihr Ende in Dieters Tod und dem Entschluss seines einzigen Sohnes Feist von Ascisberg, sich aus den Geschäften der Familie zurückzuziehen und sich stattdessen am Fuße des Ascisbergs ganz der Wissenschaft hinzugeben. Gleichwohl achtete Feist auf regelmäßigen Kontakt und Austausch zwischen den beiden Familien. Walther wurde in dem Wissen groß, dass die Rubinsteins bei ihnen mit dem »Emicho-Versprechen« im Wort waren.
    »Ich gebe Euch bezüglich Emicho von Flonheim zweierlei Versprechen«, hatte Aaron zu Dieter gesagt, »meine Familie steht für immer in Eurer Schuld, bis sie Euch einen Dienst erwiesen hat, der sie aus dieser Schuld entlässt.«
    »Ich will das nicht annehmen«, erwiderte Dieter.
    »Über meine Familienangelegenheiten bestimme ich allein«, sagte Aaron mit gespielter Strenge. Dieter widersprach nicht, was Aaron als Einverständnis wertete.
    »Und das zweite Versprechen?«, fragte Dieter von Ascisberg neugierig.
    »Ich denke, das können wir eher einlösen«, gab Aaron Rubinstein zur Antwort, »Graf Emicho wird nach seiner Rückkehr aus dem Kreuzzug nie wieder einem Juden Leid antun.«
    So geschah es. Emicho kehrte zurück, wurde gemieden und verschwand eines Tages. Niemand konnte etwas über seinen Aufenthaltsort sagen. Nur Aaron und die Fische im Rhein, die Emicho in sich aufgenommen hatten, wussten es besser. Aber Aaron wollte nicht darüber reden, und die Fische konnten es nicht.
    In dem Zeitraum, in dem die Verbundenheit der Familien durch Feist von Ascisberg und Simons Vater, David Rubinstein, gepflegt wurde, hatte sich nie die Gelegenheit ergeben, jenes Versprechen einzulösen, das daher mit dem Ableben der beiden Männer in die dritte Generation überging.
    Jetzt gehörte es zur Verpflichtung von Simon Rubinstein. Als er sein Pferd von den schwankenden Planken des Floßes ans Ufer führte und aufsaß, spürte er unter dem gefärbten Leinen den prall gefüllten Lederbeutel. Es sollte keine Mühe kosten, das von Walther erbetene Kontingent an kampferprobten Männern aufzutreiben.
    Die Burg Laurin war jetzt immer deutlicher zu erkennen, während die Gruppe um den Fürsten die letzten Schritte im Wald zurücklegte. Isenhart sah schon die kleinen Holzhütten des Gesindes am Fuße des Burghügels. Manchmal fragte er sich, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er hier unten aufgewachsen wäre. Als einer von ihnen . Ohne jenes Privileg, das er Walther von Ascisberg

Weitere Kostenlose Bücher