Isenhart
gewusst.
Simon Rubinstein reinigte sich in der Mikwe, einem Badehaus in der Judengasse Spiras, als man den Kurier zu ihm geleitete, den Walther von Ascisberg von Bruchsal aus entsandt hatte. Jener übergab ihm ein dünnes Pergament, das Simon entrollte und – nackt in der Mikwe stehend – las. Währenddessen betrachtete der Kurier neugierig seinen Unterleib und wurde durch Simons Frage, ob er noch nie einen beschnittenen Mann gesehen habe, aus ebendiesen Betrachtungen gerissen. Der gerade Blick des Juden veranlasste den Kurier zu heftigem Räuspern.
Wenn Euer Wort bezüglich Emicho noch gilt, benötige ich schnellstens Eure Hilfe nebst fünfzig Rittern zu Pferde.
Simon Rubinstein sog die feuchte Luft ein, sein Oberkörper dehnte sich aus und mit einem tiefen Seufzen der Erleichterung ließ er den Atem wieder entweichen. Endlich war der Augenblick gekommen!
Wenn Euer Wort bezüglich Emicho noch gilt – Walther von Ascisberg war einer der rücksichtsvollsten Menschen, die er kannte. Es sah dem Mann ähnlich, ihm durch diese Formulierung eine Ablehnung des Wunsches ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen, aber selbstverständlich galt das Wort eines Rubinsteins.
Simon führte den Kurier durch verwinkelte Gassen, in denen die Handwerker ihrer Beschäftigung nachgingen und Kinder herumtollten. Hunde waren auf der Flucht vor dem Huntschlager, irgendwo quiekte ein Schwein, das geschlachtet wurde. Leute standen herum, meist in Lumpen, die anfingen, sich zu schlagen, obwohl keinem von ihnen ein Stück Fleisch zustand. Simon Rubinstein leitete den Kurier durch all das hindurch und daran vorbei, sie passierten eine Spelunke, in der Geld und Land verwürfelt wurde, und erreichten schließlich die Frauensynagoge zu Spira.
Rubinsteins altehrwürdige Mutter Ruth sorgte hier für die Bedürftigen. Der Spiraer Bischof unterstützte sie dabei mit Geld und Lebensmitteln. Das tat er nicht von sich aus, vielmehr war Simons Mutter ihm so lange auf die Nerven gegangen, bis er seine Ruhe und seinen Seelenfrieden höher bemaß als den wirtschaftlichen Verlust, den die Spenden für das Judenviertel mit sich brachten.
Dem Kurier blieb nicht verborgen, wie oft und wie ergeben man Simon Rubinstein in den Gassen grüßte. Offenbar besaß dieser Mann eine Menge Einfluss. Seine Mutter Ruth bat Simon um ein neues Pferd für den Bruchsaler Kurier, außerdem um Speise und Trank und ein Lager, denn der Mann musste ausgeruht sein, wenn er sie nach Bruchsal führte.
Er selbst begab sich zu den Fährmännern an der Spira – die Stadt verdankte dem Flüsschen, das an dieser Stelle in den Rhein mündete, ihren Namen – und ließ sich und sein Pferd zum anderen Ufer übersetzen. Natürlich kostenlos, die Fähren waren sein Eigentum.
Der Tropfen der Laurins wurde hier hoch geschätzt, nach der Lese beförderten Simons Fähren die Fässer über den Fluss, und seine Neffen, Nichten, Großneffen und deren Freunde verkauften den Wein in der ganzen Pfalz und sogar bis nach Frankreich hinein.
Die jüdischen Kaufleute genossen in Spira Handelsfreiheit, das heißt, sie unterlagen keinerlei Zöllen, was Spira neben Mainz und Worms zu einem höchst lukrativen Standort machte.
Eigentlich wäre Simon Rubinstein vermutlich in Mainz geboren worden. Dass er in Spira das Licht der Welt erblickte, war dem Großvater von Walther zu verdanken, dem Kaufmann Dieter von Ascisberg.
Fast hundert Jahre zuvor, am 27. November 1095, hatte Papst Urban II . unter dem Motto Deus vult zum ersten Kreuzzug und zum Ausmerzen aller Ungläubigen aufgerufen, worunter auch die Anders gläubigen fielen. Also auch die Juden, deren Urahnen Jesus Christus ans Kreuz geschlagen hatten.
Unter anderem auch wegen dieses Umstands galten die Juden als Anhänger des Antichristen, und eine Menge Leute fragten sich, warum sie eine beschwerliche Reise durch Kleinasien antreten sollten, um Ungläubigen den Schädel einzuschlagen, wenn es ganz ohne solche Entbehrungen gleich hier vor Ort ebenso möglich warund man abends im Gasthaus einkehren und den Tag wie gewohnt beschließen konnte.
Derlei Anhänger scharte Emicho von Flonheim um sich, ein Graf aus dem niederen Adel, dem im Schlaf angeblich ein Engel erschienen war, der ihn zum Kampf mit dem Antichristen bestimmte.
Er begann seinen Kreuzzug in Spira, wo er Juden angreifen ließ. Die Intervention des Bischofs beendete diesen Pogrom frühzeitig, ein Dutzend jüdischer Kaufleute kam dabei ums Leben. In Worms waren es bereits
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