Isenhart
betrachtete, gab es nicht unbedingt Anlass zur Sorge. Wie einzelne Mosaiksteinchen, die sich zusammen- und aneinanderfügten, ergaben sie aber recht bald das konsistente Bild eines Hauses Laurin, das von der Außenwelt abgeschnitten war.
Wilbrands Ritter und die Söldner, die er hatte anheuern lassen, kontrollierten die Wege nach Grüningen und Westheim ebenso wie nach Fügingen und Bussingen. Sie hatten Posten am Neckar und an der Enz bezogen, ein loser Verband von drei Dutzend Soldrittern hatte bereits die Glems bei Swiebertingen überquert.
All das waren lediglich diejenigen Einheiten, die den Spähern nicht entgangen waren. Eine verlässliche Schätzung der Truppenstärke war also nicht möglich.
Sigimund hatte vorgehabt, seinen Stammhalter zusammen mit Isenhart in einer weiten Umgehung über das nördlich gelegene Helibrunna nach Spira zu entsenden, früher oder später würden sie dort auf Walther treffen und der ihnen Unterkunft und Schutz gewähren. Die winterlichen Umstände und die Geografie sollten Konrad und Isenhart einen ausreichenden Vorsprung ermöglichen.
Hannes von Lauffen, so kalkulierte Sigimund von Laurin, würde Mulenbrunnen erst am späten Abend erreichen und Wilbrand seine Leute nicht auf einen Nachtmarsch durch Schnee und Eis schicken. Daher hatte das Haus Laurin nicht vor Mittag des folgenden Tages mit einer feindseligen Reaktion des Abtes zu rechnen.
Knappe zwanzig Stunden also. Das sollte seinem Stammhalter reichen und würde ihn, Sigimund, darüber hinaus in die Lage versetzen, seine schützende Hand auch über seine Familie und das Gesinde zu halten, indem er den Glemsübergang in Swiebertingen mit einem starken Verband von dreißig Mann bestückte und so den Fluchtweg ins alemannische Bistum Konstanz sicherte, das dort seinen Grenzverlauf hatte.
Diese Planungen hatte Wilbrand von Mulenbrunnen frühzeitig durchkreuzt. Er benötigte nicht zwanzig Stunden bis zum Neckar, sondern nur eine. Was wiederum nur möglich gewesen war, wenn sein Kurier nicht den Weg bis zum Kloster hatte zurücklegen müssen. Keine Stunde nach dem Zusammentreffen mit Hannes von Lauffen hatte Isenhart die Söldner am Neckar gesehen.
Sigimund begriff, dass Wilbrand mit seinen Rittern längst bis an die Gemarkungen des Hauses Laurin vorgerückt war, bevor er seinen Kurier entsandt hatte. Er hatte Sigimunds Weigerung, seinen Sohn Konrad auszuliefern, vorhergesehen und in seine Planungen mit einbezogen.
Der Kopf des Hauses Laurin hatte seinen Gegner unterschätzt.
»Ich kann mich stellen, Vater«, schlug Konrad vor, »er hat Euch zuerst geohrfeigt, es gibt Zeugen.«
Die beiden standen im Herzen der Burg, dem Esssaal der herrschaftlichen Familie, den zwei grobe Wandteppiche schmückten und dessen unübertroffener Luxus der große Kamin an der Nordseite des Raumes darstellte, in dem die Holzscheite vom Feuer gefressen wurden. Über eine geschickt angelegte Lüftungsvorrichtung heizte das Feuer auch die darüberliegenden Schlafgemächer. In einem besonders harten Winter wurden diese Leitungen verriegelt, und Sigimund nächtigte mit seiner Frau und seinen Kindern in diesem Raum.
Zwei Tische und vier Bänke aus Eiche bildeten das Zentrum des Saales, der von den Ausmaßen her gar keiner war, belief er sich doch lediglich auf zwanzig mal fünfzig Fuß. Über schmale Öffnungen, die der Kälte trotzen sollten, wurde ein stetes Dämmerlicht gewährleistet, in dem Konrad auf und ab schritt.
Außer ihm befanden sich Isenhart, Vater Hieronymus und Rupert, der Bogner, in dem Esssaal. Isenhart hätte mit Konrad fliehen sollen, aber dieses Vorhaben war gescheitert, und niemand dachte daran, den Sohn des Schmieds fortzuschicken, während die weiteren Optionen, die ihnen blieben, durchgesprochen wurden.
Sigimund schüttelte vehement den Kopf. »Wilbrand von Mulenbrunnen ist nicht deinetwegen hier«, erwiderte er ruhig, »was er will, sind unsere Weinberge.«
Während Konrad und Rupert mit Überraschung reagierten, war diese Begründung für alles, was sich seit der Ohrfeige ereignet hatte, in Isenharts Augen die sinnfälligste Erklärung überhaupt. Sie beantwortete, weshalb Wilbrand auf Konrads Züchtigung nicht unmittelbar reagiert hatte. Wäre es ihm tatsächlich um Konrad und die durch ihn erlittene Schmach gegangen, wäre es ein Leichtes gewesen, Konrad noch innerhalb der Klostermauern festsetzen zu lassen. Wilbrand von Mulenbrunnen hätte nicht kostspielige Soldritter rekrutieren müssen, und darüber hinaus hätte
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