Isenhart
die Ehrverletzung ebenso gut dem Bischof von Spira zur Klärung vorgetragen werden können. Stattdessen ließ Wilbrand seine Truppen aufmarschieren.
Er strebte nicht danach, über eine Ehrverletzung Gericht abhalten zu lassen. Er strebte nach Mehrung seines Besitzes. Die Weinberge der Laurins – verglichen mit anderen Winzergebieten zwar recht klein – lagen im Land am höchsten, die Trauben, vom längsten Sonnenstand des Landes verwöhnt, waren die besten.
Während also Sigimund von Laurin sich die Zeit mit dem Zeugen von Nachkommen vertrieb oder mit seinem Sohn durch die angrenzenden Wälder ritt, vermehrten die Trauben wie von selbst seinen Reichtum. Er musste keinen Finger rühren.
»Du kannst dich stellen, sooft du willst«, fügte Sigimund an seinen Sohn gerichtet hinzu, »Wilbrand wird uns trotzdem angreifen.«
Er wandte sich der schmalen Öffnung zu, die ihm einen Blick hinaus auf sein Land gewährte – und auf die Weinberge, über die sich der Raureif gelegt hatte.
Wilbrands strategische Maßnahme der Einkesselung begrenzte seine eigenen Möglichkeiten auf ein halbes Dutzend. Das war nicht unbedingt eine Quelle der Freude, erleichterte Sigimund aber dennoch, weil sich dadurch Überschaubarkeit einstellte.
Sicherlich gab es weiterhin die Chance, dass Isenhart und Konrad unbemerkt hinter die Linien der Söldner gelangten. Aber was dann? Der Abt musste vermuten, Konrad hier in der Burg stellen zu können – und würde seine Pläne also nicht ändern.
Schlimmer noch, die beiden könnten bei ihrer Flucht gefasst werden. Wilbrand von Mulenbrunnen würde Konrad den Prozess machen und doch wissen, dass sein Vater Sigimund niemals denAusgang abzuwarten bereit wäre. Was Sigimund dazu zwänge, seinerseits gegen Mulenbrunnen zu ziehen. Doch mit zahlenmäßiger Unterlegenheit – davon ging er aus – bei dieser Witterung ein Kloster anzugreifen, das sich im Schutze Spiras und unter der Schirmvogtei des Kaisers befand, war – vorsichtig ausgedrückt – unklug.
Er konnte die Dinge drehen und wenden, wie er wollte, bei Licht und von allen Seiten betrachtet, konnte er sein und das Heil aller anderen nur in einer wirksamen Verteidigung der Burg suchen. Er wandte sich zu den anderen um.
»Wir werden niemanden finden, der uns hilft«, stellte der Herr des Hauses Laurin fest. Ein kurzes, mit einer Spur Grimmigkeit versehenes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er fortfuhr: »Wir sind auf uns gestellt. Wilbrand hat die Verbindungen nach außen gekappt. Ein kluger Schritt – aber kein weiser. Denn es ist Winter. Seine Männer frieren, sie brauchen Holz, sie brauchen Fleisch, sie brauchen Getreide. Sie brauchen Unterkünfte mit frischem Stroh, damit sie nicht am Boden festfrieren.«
Ein Fürst kann im Frieden und im Krieg zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten annehmen – das waren Walthers Worte.
Nun, auf Sigimund von Laurin traf das nicht zu, er blieb ein und derselbe Mann. Doch in einer Lage, in der andere vermutlich die Waffen gestreckt hätten, blühte er regelrecht auf. Sein Blick wurde hellwach, seine Bewegungen waren die eines Zwanzigjährigen, seine Anweisungen formulierte er knapp und präzise.
»Rupert, wir brauchen Pfeile und Armbrustbolzen, außerdem Öl – alles, was sich an Öl herstellen lässt. Vater, könnt Ihr Rupert dabei zur Hand gehen?«
»Ich wollte eigentlich beten und …«
»Das ist gut. Gleich anschließend könnt Ihr für unser aller Seelenheil beten. Mein Dank ist Euch gewiss. Isenhart, das Haupttor muss mit Querbalken verstärkt werden, Chlodio soll das … dein Vater soll das erledigen, danach fertigst du Pfeil- und Bolzenspitzen. Konrad, du gehst zur Siedlung. Es soll nichts zurückgelassen werden.« Dabei nickte Sigimund von Laurin sich selbst zu, als wolle er sich in dem, was er plante, bekräftigen.
Die Männer zogen los.
»Konrad, noch etwas«, sagte sein Vater, »der Steinmetz soll alleKarren mit Findlingen beladen und in den Burghof ziehen lassen. Isenhart.«
Isenhart hatte den Esssaal fast verlasen, als das Wort seines Herrn ihn einholte.
»Du bleibst noch«, fügte Sigimund hinzu.
Isenhart befürchtete, Sigimund von Laurin würde auf Anna und ihn zu sprechen kommen, auf den Bernstein, auf all die Stunden, die er mit Anna geteilt hatte, und während die anderen eilig den Raum verließen, beschloss Isenhart, ihm alles zu sagen. Ihm von der Schönheit der Tochter und von den gemeinsamen Momenten zu berichten, die ihn in einen Zustand der
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