Isenhart
aufflog, durch die eine junge Frau huschte und zur anderen Seite hin verschwand. Die Kammer von Sophia. Die an starkem Fieber litt, Sigimund von Laurin hatte es kurz erwähnt.
Das also war der Grund für das plötzliche Ausbleiben ihrer heimlichen Treffen. Sie war nicht etwa verstimmt, Sophia war krank. Und sie trauerte um ihre Schwester. Natürlich! Wie hatte er ihr nur etwas anderes unterstellen können?
Um sich für diesen widerwärtigen Gedanken, den er – wenn auch nur kurz und in höchster Verzweiflung – gehegt hatte, zu strafen, rammte er die Stirn gegen das Gemäuer. Nicht zu heftig, schließlich musste er einen klaren Kopf bewahren.
Erfreut über all die Flüchtlinge, die im Burghof eintrafen undderen Anblick ihm reichhaltige Zerstreuung bot, lehnte er sich mit den Ellenbogen auf den Sims und sog alles auf, was da unten vor sich ging. Diese Ansammlung von Gesichtern, es mochten bald an die hundert sein, war ihm nur bei Hinrichtungen vergönnt. Im Gegensatz zu solchen Anlässen, bei denen von einem Carnifex höchste Konzentration erwartet wurde, eröffnete sich für Giselbert nun die Möglichkeit, all das Treiben gelassen zu beobachten. Als Unbeteiligter sozusagen.
Ein zufriedener Seufzer ging ihm über die Lippen. Möglicherweise, dachte er und erschrak kurz über die Frohlockung, die ihm bei diesem Gedanken wohlig durch die Lenden fuhr, war dieses der Beginn einer Katastrophe. Einer Katastrophe, die das Haus Laurin verschlingen würde und in der ihm Sophias Rettung gelang. Weitab von hier, wo sie Menschen ohne Herkunft und Vergangenheit waren, konnte er den Fluch des Vaters abstreifen und mit ihr an seiner Seite von vorne beginnen. Konnte endlich Bestandteil einer Gemeinschaft sein und mit Sophia das Lager teilen. Wegen ihrer Rettung würde sie ihm bis an sein Lebensende dankbar sein. Ihn vielleicht sogar verehren.
Giselbert konnte sein Glück kaum fassen, die Vision dieser Zukunft lag zum Greifen nahe und wurde nur durch eine Gestalt, die unten im Burghof knappe Kommandos erteilte, gestört. Der Carnifex erkannte Hieronymus, der den eintreffenden Flüchtlingen ihre Unterkünfte zuteilte.
Die Stallungen, die ohnehin nur wenige Pferde beherbergten, konnten das Vieh, das die Familien mit sich führten, aufnehmen. Die Frauen mit den Kleinkindern brachte Hieronymus in den Stuben von Chlodio und dem Bogner unter, deren Unterkünfte sich noch am besten heizen ließen. Der Pinkepank, wie immer angetrunken, begann zu lamentieren, aber Hieronymus, der in Eile war, versprach ihm für alle Sünden des kommenden Jahres Ablass. Chlodio akzeptierte mit einem breiten Lächeln.
Ein gewisser Pragmatismus war manchmal unumgänglich.
Direkt neben der Schmiede, deren Ofen ein solches Maß an Hitze abstrahlte, dass Isenhart bei winterlichen Temperaturen mit freiem Oberkörper arbeitete, hieß er die Bauern ein Notlager ausHolz und Stroh errichten. Den Alten und Gebrechlichen gewährte er in der Kapelle Unterkunft, in der – so hatte Sigimund von Laurin es angeordnet – auch das Essen ausgegeben wurde, Bier und Getreidebrei, außerdem Milch für die Kinder. Keinem unter sechs Jahren sollte Bier verabreicht werden, nur gepanschter Wein.
In den Gewölben der Burg wurden außerdem Räucherfleisch, Dörrobst sowie getrockneter Fisch, Erbsen und Linsen bereitgehalten, um die Mägen zu füllen. Der Medicus wurde angehalten, seinen Vorrat an Heilkräutern auf ein Minimum zu reduzieren und den Hauptbestandteil dem Würzen der Speisen zu überlassen. Salz hatte der Burgherr gehortet, also kamen Petersilie, Minze, Dill und Kümmel hinzu.
Die Getreidekammern waren noch mehr als halb voll. Auf den Beständen an Weizen, Hafer und Roggen gründete sich die Zuversicht, alle über den Winter bringen zu können. In der Burg lebten in Friedenszeiten um die fünfzig Menschen, doch nun musste sie rund zweihundert Seelen Unterkunft und Schutz bieten.
Hieronymus warf noch einmal einen Blick hinüber zu Isenhart, der Eisenspitzen produzierte. Unablässig ließ er den Hammer auf den Amboss niederfahren, er schien in diesen Stunden niemals müde zu werden, und obgleich sein schmaler Oberkörper von einer Sehnigkeit durchzogen wurde, die ihn an Bruder Reinhold erinnerte, fragte Hieronymus sich doch, woher der Junge diese Kraft nahm.
Die Chancen standen schlecht, da mochte sein Ziehsohn noch so viele Pfeilspitzen fertigen, auch wenn Chlodio – gegen seinen Willen – von dem Stakkato der Schläge beeindruckt war. Er genehmigte sich
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