Isenhart
Stoßtrupp.
Zehn Goldmark waren ein kleines Vermögen, selbst für Giselbert, der als Carnifex über ein gutes Auskommen verfügte. Die Burg fiel, sagte er sich noch einmal. Und was würde wohl mit ihm geschehen, wenn die Brabanzonen einfielen? Und, noch schlimmer, was würden sie Sophia antun?
Giselbert gab sich einen Ruck und schlich die Treppe hinab. Er erschauerte bei dem Gedanken, sich in einer riesigen Gruft zu befinden, in der über hundert Menschen ihr Grab finden sollten. Zwei von ihnen konnte er retten.
Die Stallungen brannten, obwohl die Weiber Kübel um Kübel Wasser hineinwarfen. Isenhart spürte die enorme Hitze auf seinem Rücken. Einer der Männer, Isenhart erkannte in ihm Ruperts Sohn, verteilte auf Weisung Sigimunds Fackeln an die Männer, die einen Halbkreis um das Tor gebildet hatten.
Die Wucht des nächsten Rammbockstoßes löste etwas Mörtel aus dem Mauerwerk, das zu Boden polterte.
Sigimund von Laurin wandte sich an seinen Sohn, der neben Isenhart stand. Konrad war mittlerweile so groß wie sein Vater, seine Hände umklammerten das Schwert so energisch, dass die Handknöchel weiß hervortraten.
»Du gehst und beschützt deine Mutter und deine Schwester.«
»Aber Ihr braucht jeden Mann, um das Tor zu halten!«
»Was nützt mir ein Tor, wenn ich Weib und Kind verliere?«
»Aber Giselbert …«, entgegnete Konrad, wurde aber sofort von seinem Vater unterbrochen.
»Ich habe bereits eine Tochter verloren, die mir lieb war. Und jetzt geh.«
Diese letzten drei Worte verließen die Lippen des Burgherrn mit einer Sanftheit, die im Gegensatz zu seinen Augen standen, die sagten: Ich dulde keinen Widerspruch.
Es war Sigimunds Art, Lebewohl zu sagen, und Isenhart hoffte inbrünstig, dass Konrad das nicht begriff. Nicht hier, nicht jetzt.
Einen ewigen Augenblick lang standen sich Vater und Sohn noch gegenüber, und die ferne Ahnung, dieses könne ein Abschied sein, bestürzte Konrad mehr, als er geglaubt hätte. Er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und schritt über den Hof. Er blickte sich auch nicht mehr um. Konrad ging einfach, wie sein Vater es ihm befohlen hatte.
Sigimund von Laurin sah seinem Stammhalter nach, bis dieser über einen Durchlass im Inneren der Burg verschwunden war.
»Du«, wandte er sich danach an Isenhart, »weichst meinem Sohn nicht von der Seite. Wenn das Tor fällt, fliehst du mit ihm.«
»Ich glaube nicht, dass Euer Sohn …«
»Fliehst du mit ihm«, wiederholte Sigimund bestimmt.
Isenhart schluckte. Und nickte. Wie auch immer er das mit der Flucht anstellen sollte. Er wollte sich bereits abwenden, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. »Herr, wenn Ihr die Burg übergebt, zwingt Ihr den Abt zu Nachsicht.«
Sigimund von Laurin schien vor seinen Augen zu wachsen, in die Höhe, in die Breite. Ruhe kehrte in das Gesicht des Mannes ein, Haltung.
»Ich bin der Herr des Hauses von Laurin«, antwortete Sigimund ebenso feierlich wie bestimmt, »ich bin nur Gott und Kaiser untertan, und ich werde niemandem sonst irgendetwas überlassen.«
Giselbert erreichte die Tür.
So wie er vor zwei Jahrzehnten mit seinem kranken Vater die Burg erreicht hatte und einem großzügigen Herrn von Laurin begegnet war. Ihrer beider Väter siechten, und Sigimund gewährte Giselbert und dem Vater Unterkunft – ihnen, Carnifexen. Auch wenn Sigimund und er ihre Väter an unterschiedlichen Stätten zur ewigen Ruhe betteten, waren diese doch an ein und demselben Tag gestorben: am 25. März.
Es war Sigimund gewesen, der ihm Henkerarbeit in Spira verschafft hatte und Männer abgestellt hatte, um das Material für die Hütte zu liefern, die Giselbert sich am Rande der Siedlung errichtete.
Sigimund von Laurin war sicherlich ein gottesfürchtiger Mann, aber ein gottgefälliges Leben führte er nicht. Von diesem Makel einmal abgesehen konnte man Sigimund eines ganz sicher nicht nachsagen: dass er nicht für die Seinen einstand. Und damit war nicht nur seine Familie gemeint, sondern ein jeder, der auf seinem Land lebte. Hinter der starken Hand, für die er über die Gemarkungen des Hauses Laurin hinaus bekannt war, verbarg sich ein tiefes Verständnis und Mitgefühl für seine Mitmenschen. In guten wie in schlechten Zeiten, wie Sigimund zu sagen pflegte.
Dieses waren schlechte Zeiten für das Haus Laurin, konstatierte Giselbert. Tiefe Scham ergriff ihn, sich hier vor dieser Tür wiederzufinden, bereit, des eigenen Vorteils willen all das zu opfern, wofür sein Herr stand. Ihm jetzt,
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