Isenhart
an ihnen vorbeistrich, die Ersten flohen. Isenhart fühlte mit aufkeimender Panik die Abwesenheit seines Geistes.
Er war unfähig zu denken!
Das, worauf er sich stets verlassen hatte, hatte ihn verlassen. Kein Gedanke wollte sich formen, es war, als griffe er nach einem Schwarm Fische, der sich seiner Hand stets aufs Neue entzog, ganz gleich wie oft er es versuchte. So musste es sein, wenn man seinen Verstand verlor, verloren in der eigenen Einsamkeit, einem verglühenden Feuerscheit gleich. Und obwohl dieser Gedanke die schrecklichste Vision war, die sein Kopf ihm je präsentiert hatte, war er immerhin ein Gedanke!
Und dann, als habe alles nur einen Moment ausgesetzt, kam plötzlich alles wieder in Bewegung. Isenhart packte den Pinkepank, der sich anschickte, den anderen zu folgen, am Arm. Erschrocken wandte dieser sich um und starrte in das Gesicht seines Ziehsohns, der vor Aufregung und Konzentration grotesk schnell blinzelte.
»Warum habt Ihr mir das verschwiegen?«
»Weil Sigimund von Laurin es so befohlen hat«, antwortete Chlodio eilig. Er wollte sich losmachen, doch dieses Mal drückte ihn Isenhart gegen die Wand, seine Augen tauchten in die seinen, sein Griff war wie eine Eisenzwinge.
Man sah es Isenhart nicht an, Arme und Beine waren dünn, aber die Schwerstarbeit an Ofen und Amboss hatten ihm jene Sehnigkeit verliehen, die ihn in die Lage versetzte, seinen Ziehvater so lange hier festzuhalten, wie es ihm beliebte.
»Wer ist mein Vater?«
»Ich weiß es nicht. Deine Mutter hat unten in der Siedlung gewohnt. Sie … sie ist bei deiner Geburt gestorben. Mehr weiß ich nicht. Und jetzt lass mich gehen!«
An der Tür kam etwas in Bewegung. Eine Frau, die hinaus in die Dunkelheit schlüpfen wollte, wurde von etwas Schwerem am Kopf getroffen. Sie krachte gegen die Tür und sank dann zu Boden. Und mit einem Mal stand der Anführer der Brabanzonen, Rogier van Heyden, im Türrahmen. Das Gesinde stob auseinander.
Van Heyden brach einem Mann mit seinem gepanzerten Ellbogen den Schädel. Die Brutalität dieser Handlung entstand nicht aus der Schwere der Verletzung, sondern daraus, dass der Brabanzone den Mann im Vorbeigehen tötete. Wie ein lästiges Insekt.
Isenhart ließ Chlodio los und stürmte die Stufen hinauf.
Mechthild von Laurin war über den Schemel gestürzt und hatte keine Kraft mehr gehabt, den Becher, aus dem sie getrunken hatte, festzuhalten. Der Rest des Trankes, der in der Hauptsache aus den Früchten und Wurzeln des gefleckten Schierlings bestand, hatte sich über das Gestein ergossen. Dieses waren die Geräusche gewesen, die Konrad und das Gesinde am Fuß der Treppe vernommen hatten.
Konrad kniete neben seiner toten Mutter, deren Antlitz durch das Ringen nach Luft zu einer entsetzlichen Fratze entstellt worden war. Weit traten die Augen aus den Höhlen, der Mund war aufgerissen.
Konrad fühlte sich unfähig, irgendetwas zu tun, er spürte nur eine merkwürdige Kälte, die von ihm Besitz ergriff. Wie ein Panzer umschloss sie seine Haut, den ganzen Körper, auch seine Gedanken. Seine Welt zerbarst um ihn herum in Stücke. Nichts war mehr sicher, auf nichts konnte er mehr zählen, im nächsten Augenblick konnte sich alles ereignen, und seine Wehrlosigkeit, seine tiefe Ohnmacht, lähmte ihn.
Es war das Ende der Verlässlichkeit.
Nie mehr würde er sie an der Seite des Vaters über den Burghof schreiten sehen, nie mehr würde ihre Hand über seine Wange fahren, nie mehr ihr Lächeln ihn umfangen. Es stürzten mit einem Schlag so viele Nie-Mehrs auf Konrad ein, dass ihm das Herz verkrampfte.
Fast dankbar vernahm er Schritte hinter sich, die ihn von ihrem Anblick losrissen. Es war Isenhart, der atem- und fassungslos in der Türöffnung stand und die Situation mit einem einzigen Blick erfasst hatte.
Beide wussten nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten, die Ruhe und Sanftmut erforderte, wo doch die äußerlichen Gegebenheiten zu Eile und klaren Worten zwangen.
»Ich bin ein Carnifex! Und ich bin unantastbar!«, hörten sie die Stimme Giselberts.
Sophia.
Isenhart lief den Gang entlang und erreichte Sophias Kammer beinahe gleichzeitig mit Marie, die vom anderen Ende auf ihn zulief.
Einer der Brabanzonen hatte Sophia auf den kalten Boden gezerrt und ihr Nachthemd zerrissen. Er presste mit seinen Beinen die des fiebrigen Mädchens auseinander, um in sie einzudringen. Sophia wehrte sich nach Leibeskräften, aber vergeblich. Nur wenig weiter lag Giselbert in einer Blutlache. Neben
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