Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
Vom Netzwerk:
Mannes niemanden ernsthaft interessierte. Demzufolge existierte, von Gestrüpp gut verborgen, eine massive Tür, hinter der ein Gang ins Innere der Burg führte.
    Kein geheimer Fluchtgang, sondern eine Möglichkeit für das Gesinde, das in der Küche arbeitete, ohne großen Aufwand Lebensmittel ein- und auszuführen. Oder Unrat.
    »Gesinde flieht«, sagte Rogier van Heyden, als sei dieser Umstand bei Belagerungen ein Gesetz. Und der Abt war gewillt, dem Lothringer zu glauben. Irgendwann, meinte der Mann, würden einige ihr Heil in der Flucht suchen. Und dann mussten sie zur Stelle sein.
    Giselbert hatte im Wald Reisig gesammelt. Der Himmel war wolkenlos, es würde eine bitterkalte Nacht geben. Aber vielleicht, jeden Abend rief er den Herrn deswegen an, würde Sophia vorbeischauen. Ihm möglicherweise sogar die Hand halten.
    Als er in seine Hütte trat, standen drei Männer vor ihm. Giselbert sah sich über die Schulter, es war der wichtigste Blick, den ein Henker beherrschen sollte. Zwei weitere Männer traten vor die Tür und versperrten ihm damit den Fluchtweg.
    Wilbrand von Mulenbrunnen schritt vor und nah an ihn heran.»Über dreihundert Männer werden gleich auf die Burg vorrücken«, sagte er mit leiser Stimme, er war die Ruhe selbst, »wir werden das Haus Laurin schleifen.«
    Es war die Gewissheit in der Stimme des Abtes, die den Henker erschreckte. Wilbrand sprach über etwas, was am nächsten Morgen nicht mehr sein würde.
    »Wege und Furten sind besetzt«, fuhr der Abt von Mulenbrunnen fort und fixierte den Carnifex, »niemand wird entkommen. Es sei denn, ja, es sei denn, er hat einen Pakt mit mir geschlossen.«
    Der Abt hielt ihn für dumm. Er las die Geringschätzung in seinem Blick.
    »Was denn für einen Pakt?«, fragte Giselbert und mühte sich zu einem treudoofen Blick, um der Erwartung Wilbrands zu genügen.
    »Ich gebe dir etwas, was niemand sonst dir bieten kann«, fuhr Wilbrand fort und durchquerte die Hütte, was ihn nach fünf Schritten zu einer Kehrtwendung zwang, »ich biete dir eine Zukunft.«
    Es war dieses ein Wort, das Giselbert hellhörig werden ließ: Zukunft.
    Das war in der Tat etwas, was er nicht hatte.
    »Dein Herr wird seinen Stammsitz nicht halten können. Es gibt im unteren Trakt der Burg einen Versorgungsgang, der in einer Tür mündet. Ich will, dass du sie mir öffnest. Natürlich kannst du mein Ansinnen nun Sigimund von Laurin berichten. Er wird die Tür doppelt und dreifach verriegeln lassen, dennoch wird die Burg fallen – es wird bloß mehr Tote geben, als es geben müsste. Das ist der einzige Unterschied. Und klingt er in deinen Ohren vernünftig?«
    »Nein.«
    Wilbrand von Mulenbrunnen nickte zufrieden. »Nein«, sagte er, »das ist er auch nicht. Wir werden jeden erschlagen, auf den wir treffen. Jeden, der nicht klug genug war, sich auf unsere Seite zu schlagen. Ich biete dir zehn Goldmark und ein Stück Land im Norden, wo dich niemand kennt, wo du von vorne beginnen kannst. Als ein ehrlicher Mann. Du kannst ein Weib haben und Kinder, Carnifex. Du kannst Teil der Gemeinschaft werden. Wenn du mir diesen einen Dienst erweist und die Tür öffnest.«
    Giselberts Mund war trocken. Sein Leben war an einem Scheideweg angekommen. Er mochte den Abt nicht, das Tuch um dessen Hals stank entsetzlich. Aber das durfte keine Rolle spielen.
    »Was ist, wenn ich es nur für zwei Leben tue?«
    »Welches ist das andere?«, fragte Wilbrand.
    »Sophia.«
    »Sigimunds jüngste Tochter?«
    Giselbert nickte.
    Der Abt bedachte ihn mit einem anzüglichen Lächeln. »Giselbert, Giselbert«, sagte er mit gespieltem Tadel, »blutet sie denn schon?«
    »Sie ist zwölf.«
    Das Lächeln verlor sich, Wilbrand von Mulenbrunnen war plötzlich stehen geblieben und starrte mitten in seine Augen. »Du und dieses Kind – wenn du die Tür öffnest.«
    Mehr hatte er nicht gesagt, sondern eilig mit seinen Männern die Hütte verlassen.
    Diese Begegnung rief Giselbert sich ins Gedächtnis, während das dumpfe Dröhnen, das der Rammbock erzeugte, über den Burghof bis zu ihm hallte. Die Burg fiel, daran gab es keinen Zweifel. Er sah an sich hinab. Seine Füße hatten ihn zur Treppe geführt, und er hätte nicht sagen können, wie er hierhergekommen war.
    Giselbert blickte hinab. Die Stufen, auf denen er stand, führten ins Erdgeschoss. Dort, rechts um die Ecke und dann noch eine kurze Treppe tiefer, befand sich die Tür, von der der Abt Kenntnis erlangt hatte. Vermutlich wartete er dort bereits mit einem

Weitere Kostenlose Bücher