Isenhart
den Winter angelegt hatte.
Dafür und für den Umzug in die klirrend kalte Scheune, in der die einfachen Leute eine Woche zubringen sollten, wurde die Familie reichlich entlohnt. Erst von einem dünnen grauhaarigen Mann, später von einem Herrn in Rüstung, einem Juden. Es hatte den Anschein, als wüssten diese beiden Männer nichts von den Zuwendungen des jeweils anderen, und der Bauer war nicht so dumm, sie darauf anzusprechen. Dafür überließen sie den Fremden ihr Haus und schworen, niemandem gegenüber ein Wort über ihre Anwesenheit zu verlieren.
Der dünne grauhaarige Mann, bei dem es sich um Walther von Ascisberg handelte, ließ Konrad und Sophia ein Lager direkt neben dem einzigen Ofen herrichten. Sophia, der ihre nassen roten Haare am Kopf klebten, fiel ebenso wie Marie sofort in einen tiefen Schlaf.
»Sie braucht trockene Decken«, wies Walther Isenhart an, der sich bereitwillig zu dem Dutzend Ritter, das in einigem Abstand lagerte, begab und um Leinen bat. Mit den vier Bahnen grober Reiterdecken, die die Männer erübrigten, wickelten Walther und Isenhart das Mädchen ein.
»Aber ihr ist warm«, gab Isenhart zu bedenken.
»Was sie heimgesucht hat, soll über ihre Haut aus dem Körper gedrängt werden, damit die vier Säfte wieder ins Gleichgewicht geraten«, erklärte Walther von Ascisberg, bevor er sich Konrad zuwandte. Nach der Inspektion der Wunde zögerte er.
Isenhart hockte neben ihm und befeuerte den Ofen mit Holz, das noch nicht komplett getrocknet war und sich deshalb in beißenden Qualm verwandelte. Gleichwohl entging ihm das Innehalten seines Lehrers nicht. Als er ihn fragend ansah, wich Walther dem Blick des jungen Schmieds nicht aus.
Konrad hatte sehr viel Blut verloren und seine Gesichtshaut infolgedessen die wächserne Durchlässigkeit Sterbender angenommen. Die Wunde war verheerend – falls Konrad genesen sollte, wäre es ein Wunder. All das musste von Ascisberg nicht aussprechen, Isenhart las es in seinem Blick schneller, als sein Gehör es erfasst hätte.
Er war in der Behandlung von Fleischwunden nicht bewandert. Und Heilkräuter sowie deren Wirkung waren ihm nur durch Walthers Unterricht bekannt. »Was braucht Ihr?«, fragte er deshalb.
»Unsere Fürsprache«, antwortete Hieronymus, der nahezu lautlos an sie herangetreten war, »Konrad braucht jetzt unsere Gebete.« Mit diesen Worten hockte er sich an Konrads Kopfseite auf den Boden und wischte ihm mit dem Saum seines Umhangs den Schweiß von der Stirn. »Vater«, intonierte er, »der du bist im Himmel …«
»Nicht jetzt«, unterbrach Walther ihn knapp. Hieronymus schaute verdutzt auf und begegnete dem Blick des gelehrten Mannes, dessen Antlitz ebenso wie das eigene von den Vorkommnissen der letzten Tage gezeichnet war.
»Wollt Ihr mir das Gebet untersagen?«, brauste Hieronymus auf, dessen Worte es trotz des kräfteraubenden Ritts nicht an Angriffslust missen ließen.
Walther von Ascisberg atmete einmal tief durch.
»Ihr glaubt wohl nicht an die Heilkraft des Gebets«, legte Vater Hieronymus nach.
»Das tue ich«, erwiderte Walther, wobei Isenhart zur Kenntnis nahm, dass sein Lehrer die Kunst beherrschte, beim Lügen nicht zu erröten, »aber ich glaube, Konrads Wunde gehört behandelt. Ich glaube, Fürsprache beim Herrn und Versorgung der Verletzung sind kein Widerspruch. In diesem Punkt kann ich wohl Eure Zustimmung erhoffen.«
»Das könnt Ihr«, antwortete Hieronymus vorsichtig, denn errechnete damit, von Walther von Ascisberg aufs Glatteis geführt zu werden.
»Gut«, sagte dieser, »ganz gleich, was uns trennen mag, gibt es eines, was uns eint: Konrad. Ist es nicht Euer innigster Wunsch, ihn noch nicht gehen zu lassen?«
»Natürlich ist es das.«
»Dann wollen wir unsere Kenntnisse für ihn einen. Ich kümmere mich um seine Wunde. Und Euch bitte ich um das, was ich nicht leisten kann: Weiht dieses Haus, Hieronymus. Weiht es mit Hoffnung.«
Hieronymus blinzelte. Meinte von Ascisberg es ernst? Oder hatte er soeben ein geschicktes Netz gesponnen, in dem er sich alsbald verheddern würde? Denn natürlich gab es nichts, was Walther tun konnte. Konrads Heilung lag allein in Gottes Hand. Ganz gleich, welcher Behandlung von Ascisberg ihn unterziehen würde. Andererseits, sagte Hieronymus sich, konnte es nicht schaden, wenn dieses klaffende, blutige Loch in der Hüfte des Stammhalters gleichzeitig von Menschenhand versorgt wurde. Überdies raubte ihm die Sanftmut, mit der Walther das Wort an ihn richtete,
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