Isenhart
jeglichen Zorn aus seinem Herzen, der – wie der Geistliche nur zu genau wusste – der Eifersucht entsprang.
Also nickte er, erhob sich und ging vor die Tür, um das Haus zu weihen. »Hoffnung«, hatte Walther von Ascisberg gesagt. Hieronymus wusste sehr genau, worauf der Mann damit anspielte: grün. Grün war die Hoffnung.
Bei einer geringfügigeren Verletzung hätte Walther die offenen Gefäße mit einem glühenden Eisenstab versengt, um die Blutung zu stillen. Denn nach der Lehre des Galenos war der Verlust des zweiten Saftes – Blut – so immens, dass das Gleichgewicht der Säfte über eine Unausgewogenheit hinausging und Konrads Leben an einem Faden aus brüchigem Hanf hing.
Doch hatte die Lanze van Heydens seine Hüfte auf ganzer Länge durchbohrt. Und das Innere des Menschen glich fast noch einem unberührten Eiland, wie Walther einmal mit einer Spur Bedauern in der Stimme festgestellt hatte. Niemand konnte eine verlässliche Aussage darüber treffen, wie es dort aussah.
Terra incognita.
Nun, es gab im Zuge von Hinrichtungen und vor allem Schlachten die grässlichsten Verletzungen, die dem aufmerksamen Betrachter einen kurzen Blick in das Innere gewährten, bei Vierteilungen etwa oder wenn einem Krieger die Hand oder gar der Arm abgeschlagen wurde. Doch was der eilige Blick erhaschte, war nur die Form. Partiell war also die Anordnung der Organe bekannt, ihre Funktionsweise aber oder gar ihr Zusammenwirken mit den anderen Organen konnte sich niemandem erschließen.
Walther hätte das Schüreisen durch jenen Weg führen müssen, den die Lanze zuvor genommen hatte. Und er fürchtete, dass er dabei mehr Schaden als Nutzen hervorrufen würde.
Aus diesem Gedanken war das Zögern entstanden, das Isenhart bemerkt hatte.
Gemeinsam säuberten sie die Wunde mit Wasser und Wein, bevor sie sie mit Mehl und Butter füllten, was sie in ausreichender Menge auf dem Proviantpferd mit sich führten. Mehl und Butter, erklärte von Ascisberg seinem verdutzten Schüler, würden die offenen Gefäße verklumpen und damit die Blutung stillen. Nach etwas Ruhe würde der Körper neues Blut entwickeln – wo auch immer das geschah –, und dies würde wieder zu einem Gleichgewicht der Säfte führen.
Isenhart desinfizierte eine Nadel in der Ofenglut, doch Walther beließ es bei einem eng gewickelten Verband. Er wollte sichergehen, dass die Blutung zum Stillstand kam und sich kein Wundbrand oder eine andere Komplikation ergab, bevor sie die Ein- und Austrittswunde vernähten.
Während der ganzen Prozedur erwachte Konrad nicht aus seiner tiefen Ohnmacht.
»Und nun holen wir Vater Hieronymus und bitten den Allmächtigen zusammen mit ihm um Beistand«, sagte Walther.
Als Isenhart und er vor die Tür traten, beendete der Geistliche soeben seine Arbeit, die darin bestand, das Haus des Bauern mit Tannenzweigen zu schmücken.
Isenhart konnte seinen frischen Atem in der Luft sehen, der in den Nebel überging, der sie nach wie vor umgab. Hieronymus wäre allerdings nie in den Sinn gekommen, ein Gotteshaus mit denZweigen zu versehen, da es sich um einen heidnischen Brauch handelte, der sich aber während der geweihten Zeit immer noch einiger Beliebtheit erfreute. Man sagte den Zweigen übernatürliche Kräfte nach, die die Menschen in der geweihten Nacht gegen böse Geister schützten und dem Haus, an dem man sie anbrachte, Hoffnung, Gesundheit und Wachstum bescherten; all das, was Konrad von Laurin dringend nötig hatte.
»Vater«, wandte sich Walther mit müder Stimme an Hieronymus, »es ist jetzt alles bereit zum Gebet. Gerne möchte ich mit Euch für Konrad Fürbitte bei unserem Herrn halten.«
Beides, die Sanftmut seiner Worte und der ehrliche Respekt in Walthers Augen, ließen die lang andauernde Eifersucht, die Hieronymus empfunden hatte und die auch jetzt noch sein Blut wallen ließ, als kleinmütig erscheinen. Deshalb trat er an Walther heran, nahm dessen Hände in seine und sagte: »Ich bin sicher, kein Medicus hätte die Verletzung meines neuen Herrn mit mehr Geschick und Vorsicht behandelt als Ihr, Walther von Ascisberg. Die Treue, mit der Ihr gerade heute zum Haus Laurin standet, hat mir die Augen geöffnet. Ich möchte Euch von Herzen danken.«
So weit Isenharts Erinnerung reichte, hatte er seinen Lehrmeister noch nie so überrascht gesehen. Und obwohl er sich dagegen sträubte, trafen Isenhart die Worte ins Herz.
Der Geistliche löste seine Hände von denen Walthers und trat ein.
Von Ascisberg warf
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