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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Walther von Ascisberg wusste nicht, worüber er mehr erstaunt sein sollte,über die Tatsache an sich oder über die Beiläufigkeit, mit der Sophia sie ohne jeden Stolz feststellte.
    »Und warum?«
    »Ich wollte rechnen können.«
    Walther kniff vor Zerknirschung wegen seiner unüberlegten Frage, die ihn wie einen Trottel dastehen ließ, kurz die Augen zusammen. Natürlich hatte sie es erlernt, um rechnen zu können, der Grund ihrer Bemühungen lag auf der Hand.
    Noch dazu kursierte diese und jene Geschichte über Sophia mit ihren roten Haaren und den Sommersprossen. Man sagte ihr das zweite Gesicht nach. Vielen Leuten im Hause Laurin war sie nicht geheuer. Einige böse Zungen behaupteten, ein Blick von ihr genüge, die Lebenszeit um ein Jahr zu verkürzen.
    Walther von Ascisberg besaß eine ungefähre Ahnung von der Unzulänglichkeit seines Geistes. Ihm war bewusst, dass es noch viele Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die sich dem Bestreben seines Verstandes, sie zu erfassen, entzogen – oder die ihm schlicht nicht bekannt waren. Was also sprach gegen die – vielleicht gottgewollte – Gabe, die Zukunft schauen zu können?
    Ihm war sie nicht gegeben, leider. Möglicherweise war an den Gerüchten aber etwas dran, möglicherweise besaß Sophia diese Fähigkeit.
    »Kannst du Isenhart jetzt sehen? «
    Sophia richtete den Blick auf ihn, ihre grünen Augen musterten ihn offen, aber mit dem Ernst einer erwachsenen Frau. »Ich kann es nicht erzwingen«, erwiderte sie, als gebe sie Auskunft über das Wetter, »ich träume von Dingen. Manche treten ein, viele nicht.«
    Von Ascisberg empfand wegen dieser Worte eine seltsame Beruhigung. Sophia war nicht in der Lage, ihre Gabe bewusst einzusetzen. Walther vermochte nicht zu sagen, warum, aber dieses Bekenntnis erleichterte ihn. Alles über dieses Phänomen schien gesagt, aber dann stutzte er doch. Ihm war ein ungeheuerlicher Gedanke gekommen.
    »Manches tritt ein, vieles nicht«, wiederholte er. Sophia nickte. Walther fixierte sie regelrecht. »Aber du weißt, welche eintreten und welche nicht«, vermutete er.
    »Ja.«
    Von Ascisberg spürte, wie ihm ein Schauer über den Rückenkroch. Die Furcht vor so einem Talent stieß ihn ab, die Neugierde zog ihn an. »Von Isenhart hast du nichts geträumt?«
    Sophia unterbrach den Blickkontakt, um für einen Moment in sich zu gehen. »Doch«, bekannte sie dann, »aber das wird erst später geschehen.«
    Walther spürte, wie seine Kehle trocken wurde. »Und was wird mit ihm geschehen?«
    »Ich weiß nicht genau. Es sind nur Bilder.«
    »Was zeigen sie?«
    »Isenhart steht auf einem Fährfloß.«
    »Und sonst nichts?«
    »Nein.«
    Die letzte Antwort kam zu zögerlich, um der Wahrheit zu entsprechen. Walther wollte nachhaken, aber bei Sophias Anblick erlebte er dieselbe Ahnung wie schon zuvor mit Isenhart: Er konnte ihr an der mit Sommersprossen gesprenkelten Nasenspitze ablesen, dass sie ihm keine weitere Antwort zuteillassen würde.
    Er atmete tief durch. Hätte der Allmächtige ihn doch nur mit dieser Gabe ausgestattet! Plötzlich schoss ihm eine Eingebung durch den Kopf. »Hast du auch von mir geträumt?«
    Sophia nickte.
    »Auch von meinem Tod?«
    »Ja.«
    Walther schluckte. Er war hin- und hergerissen, doch schließlich siegte seine Wissbegier. »Was hast du gesehen?«
    »Einen jungen Mann, nicht Euch. Seine Augen waren herausgeschnitten.« Die Vorstellung daran durchlief den kleinen, schmalen Körper in Form eines Zitterns.
    »Sterbe ich durch Gewalt?«
    »Nein.«
    Dieses Mal kam die Antwort zu schnell, um wahr zu sein.
    An Walthers Sattel, der neben seinem Pferd an der Wand hing, entdeckten sie einen kleinen Fetzen Leinen. Biduum hatte jemand mit Ruß darauf gekritzelt.
    »Was steht da?«, fragte Sophia.
    Walther von Ascisberg verspürte Erleichterung darüber, dasssie sich nicht auch noch das Lesen beigebracht hatte. »Zwei Tage«, antwortete er. Sie mussten es nicht aussprechen, zwischen ihnen herrschte stilles Einvernehmen über die Frage, wer diese Nachricht hinterlassen hatte.
    Man benötigte etwa einen Tag von hier bis Spira – oder bis zur Burg Laurin. Und einen weiteren, um nach Bruchsal zurückzukehren. Was hatte Isenhart vor?
    »Zwei Pferde«, murmelte Sophia, die in Gedanken offensichtlich derselben Frage nachging.
    »Er will jemanden herholen«, vermutete von Ascisberg.
    Sophia nickte. Ihr Blick fiel auf die Hühner, die neugierig die Hälse nach ihnen reckten. »Henrick«, sagte sie leise.
    Falls Sophias

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