Isenhart
hatte.
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12.
n jener Nacht an der Glems drängte Simon Rubinstein darauf, Wilbrands Männer anzugreifen. Isenhart sah ihn noch vor sich, wie er sich im Sattel zu Walther von Ascisberg hinabbeugte. Das Licht des Mondes wurde vom Kettenhemd des Juden reflektiert; Isenhart schätzte es auf knapp zwanzigtausend Glieder. Keine Sonderanfertigung.
»Er rechnet nicht mit uns«, wisperte Simon. Um ihn herum saßen stumm die Ritter, die er rekrutiert hatte, Augen und Waffen blitzten auf, ihre Pferde bogen die Hälse nervös nach links und nach rechts. Zwei der Söldner hatten sogar ihren Pferden Kettenhemden umgelegt. Lediglich deren Augen, die aus dem metallischen Geschirr starrten, erinnerten Isenhart daran, dass er es nicht mit Wesen aus Metall zu tun hatte.
»Der Abt hat bestimmt 300 Männer gegen uns geführt«, mischte Isenhart sich ein, als er spürte, wie Walther wankelmütig wurde und einen Ausritt in Betracht zog, »die meisten sind Brabanzonen.«
Keiner sagte etwas, aber das Verharren der kampfbereiten Männer war umso gesprächiger: Niemand wollte ernstlich gegen eine Überzahl dieser Brabanter Soldritter anreiten.
Simon Rubinstein befahl zehn Männer zur Nachhut, und das sollte sich als bitter nötig erweisen. Nur zwei Stunden später trafen Wilbrands Ritter nordöstlich von Ascisberg bei Fügingen ein, wo sie in einen Hinterhalt gerieten, den Rubinsteins Nachhut ihnen dort bereitete. Zwei Gefolgsleuten des Abtes gelang die Flucht, ihre drei Gefährten wurden erschlagen.
Wilbrand von Mulenbrunnen, der die Brabanzonen morden, vergewaltigen und plündern ließ, um ihnen die Laune nicht zu verderben oder sie gar gegen sich aufzubringen, erhielt weitere zwei Stunden später Kunde von diesem wenig erquicklichen Zusammentreffen. Während der eine Ritter mit stiller Zustimmung des anderen Überlebenden die Nachhut auf fünfzig Gepanzerte aufblähte, war für den Abt nur eine Information von Bedeutung: Fügingen.
Es hatte ein erstes Zusammentreffen an einem Übergang der Glems gegeben, einem Nebenarm der Enz. Folgte man dem Lauf der Enz, gelangte man nach Fügingen. Verband man diese beiden Stellen im Geiste zu einer Linie und führte diese fort, landete man unweigerlich in Spira.
Unter Sigimunds Gesinde fand sich niemand mit einer Verbindung dorthin. Aber es gab einen guten Freund des Fürsten von Laurin, der in Spira seine Wurzeln hatte, obwohl er einen Großteil seines Lebens an der höchsten Erhebung der Gegend verbracht hatte: Walther von Ascisberg.
Dieser lenkte sein Pferd mit größtmöglicher Sorgfalt über die Handelsstraße, während die Trage, auf der der ohnmächtige Konrad von Laurin festgebunden worden war, zwei gleichmäßige Linien im frischen Schnee hinterließ. Walther war bemüht, jede Erschütterung und damit jede Unebenheit des Weges zu vermeiden, um den neuen Herrn von Laurin, den er hinter sich herzog, zu schonen.
Einmal erst hatte er das Meer gesehen, diese unfassbare Menge an Wasser, in jeder Hinsicht unbegrenzt. Dieser Teil der Schöpfung flößte ihm tiefen Respekt ein, er konnte nicht benennen, wann in seinem Leben er sich jemals näher zu Gott gefühlt hätte. Bis zu den Knien in dieses Land aus Wasser zu stapfen, war, als spürte er den Atem des Allmächtigen.
Walther hatte sich anschließend auf einen Felsblock gesetzt und die Wellen beobachtet, die wieder und wieder, mal stärker, mal schwächer, aber stets unermüdlich auf den Sand schlugen. Nie ließen sie nach, nie kamen sie zur Ruhe; die Bewegung war der Kern ihres Wesens.
Irgendwann bemerkte er schräg hinter sich eine vertraute Gestalt. Es war der junge Sigimund von Laurin. Schon damals wortkarg. Er fragte nicht, was sein Freund Walther da trieb, er sah es ja: Walther beobachtete die Wellen. Da sie das Immergleiche vollführten, stumpfte Sigimunds Interesse an ihnen recht zügig ab.
»Was ist so außergewöhnlich?«, fragte er schließlich.
Walther benötigte einige Augenblicke, um sich zu sammeln, bevor er antwortete. »Ich habe so etwas noch nie gesehen«, sagte er ehrfürchtig.
»Jetzt schon«, lautete Sigimunds knapper Kommentar.
Walther war durchaus für die Lakonie des Freundes empfänglich, dieses Mal jedoch nicht. »Es ist wie ein Lebewesen«, sagte er ruhig, »es riecht, es bewegt sich, aber es wird nicht müde. Und hört vielleicht auch nie auf zu sein.«
Er erschauerte ein wenig bei seinen Worten, denn sie beinhalteten nicht weniger als die Nichtigkeit seiner Existenz.
»Alles hört auf zu sein.
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