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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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hat«, sagte Anu, als er mit Isis wieder einmal am Flussufer saß.
    Irgendwann hatte sie sich zu seiner Erleichterung plötzlich nicht mehr gegen ihren alten Lieblingsort gesträubt. Seitdem kamen sie hierher, wenn sie allein sein wollten. Khay wäre ihnen zwar gern nachgeschlichen, aber da er in der Tempelwerkstatt arbeitete, fehlte ihm die Zeit dazu.
    »Dabei weiß ich noch immer nicht, warum sie überhaupt gegangen ist. Jedenfalls hat unser Haus seitdem seine Seele verloren. Mein Bruder kommt nur noch zum Schlafen heim und führt sich auf, als sei ich abwechselnd unsichtbar oder aussätzig. Und Vater ist so wütend, dass man ihn besser gar nicht erst anspricht.«
    »Du hast sie sehr gemocht, nicht wahr«, sagte Isis, »deine Ama?«
    Ein schnelles Nicken.
    »Mich hat sie immer eingeschüchtert, weil sie so streng und zurückhaltend war. Vielleicht kam das daher, weil ich die Wärme und Lustigkeit meiner Mutter gewöhnt war. Aber so wie Selene war, ist ohnehin kein anderer Mensch.«
    Anu starrte auf die glitzernden Wellen. »Die Ama war keine Mutter. Und schon gar nicht wie Selene. Aber sie war eine gute Großmutter. Obwohl sie immer zurückhaltend geblieben ist, beinahe, als würden wir gar nicht wirklich zu ihr gehören.« Er begann sich an der Wade zu kratzen, ein untrügliches Zeichen seiner Verlegenheit. »Sie fehlt dir noch immer, deine Mama?«
    »Keiner kann sie ersetzen. Papa denkt und fühlt das Gleiche, das weiß ich, obwohl er niemals darüber spricht. Aber ich glaube, er scheint sich allmählich zu festigen.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Er lächelt wieder öfters. Und er schläft nicht mehr in der Tempelwerkstatt. Im vergangenen Mond hat er nicht ein einziges Mal außer Haus übernachtet.«
    Anu musste lachen. »So genau kontrollierst du ihn?«
    »Wir passen gegenseitig aufeinander auf«, sagte Isis ernst. »Wir haben doch nur noch uns beide.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Allerdings fängt er an, sich Flausen in den Kopf zu setzen«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihm schon mehrmals gesagt, dass es nichts als dummes Zeug ist. Aber er scheint mich gar nicht zu hören. Du weißt ja, wie eigensinnig er sein kann.«
    »Worum geht es denn?«, fragte Anu.
    »Ach, er meint, es sei allmählich Zeit, mich zu verheiraten. Viele andere Mädchen meines Alters hätten längst einen Mann. Was soll ich mit einem Mann, kannst du mir das verraten? Wo ich doch schon einen Vater habe, den ich kaum aus den Augen lassen kann!«
    »Und mich«, sagte er leise, »mich hast du auch.«
    »Das weiß ich doch«, sagte sie herzlich. »Du bist mein allerbester Freund, Anu. Fast mein Bruder.«
    »Ein Freund und ein Bruder. M-m-mehr nicht?«
    Mit einem Mal spürte sie wieder jenes warme Gefühl in ihrem Magen. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher.«
    »Wir gehören zusammen. Das weiß ich schon, seitdem ich lebe.«
    »Weil unsere Mütter uns in die gleiche Wiege gesteckt haben?«, sagte sie lächelnd. »Dann müsste ich eigentlich auch zu Khay gehören. Denn der war die meiste Zeit mit dabei.«
    Die Nennung des Namens hatte alles verändert. Plötzlich fühlten beide sich befangen.
    »Ich scherze nicht, Isis«, sagte Anu nach einer Weile. »Und ich wünschte, du würdest es auch nicht tun. Nicht in dieser wichtigen Sache.« Er atmete tief aus. So viel hatte er noch nie von sich preisgegeben. »Am liebsten würde ich dich in einem Papyrusboot durch das Schilf rudern. Ich lebe nur für die Augenblicke, in denen ich dich sehen kann. Und wenn du nicht dabei bist, dann träume ich von dir — immer.«
    »Ich bin aber kein Traum, Anu.« Sehr sanft berührte sie seine Hand. »Sondern aus Fleisch und Blut. Kannst du es fühlen?«
    Das Rot auf seinen Wangen vertiefte sich. »Und außerdem bin ich alles andere als vollkommen. Mir wäre wirklich wohler, wenn du mich so sehen würdest.«
    Er spürte die Wärme ihrer Haut und den sanften Druck.
    Keine plötzliche Bewegung!, dachte er. Sonst fliegt sie weg wie ein Vogel und ich bin wieder allein. Er konzentrierte sich auf seinen Atem.
    »Außerdem sind wir beide sehr jung«, fuhr sie fort. »Lass uns noch ein bisschen Zeit!«
    »Natürlich«, sagte er und wurde traurig, als sie ihre Hand wieder wegzog. »Ich bin sogar ein halbes Jahr nach dir geboren. Wäre ich älter und in besserer Stellung, wäre alles einfacher. Aber wirst du mir trotzdem eines versprechen?«
    »Was soll ich dir versprechen, Anu?«
    Die Schatten waren tiefer geworden. Bald würden die

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