Isis
verspreche ich dir!«
Als ihre Tränen getrocknet waren, wusch sie sich Gesicht und Hände. Dann verließ sie die Tote und ging direkt zu Sannas Haus.
»Du?«, sagte die Priesterin überrascht, als sie ihr öffnete.
»Ich hätte dich nicht erwartet. Nicht heute Nacht.«
»Schick mich nicht weg!«, bat Meret. »Ich brauche dich jetzt.«
Sanna ließ sie eintreten, bot ihr Wasser an, schließlich Wein, von dem Meret gern einen Becher annahm. Nebeneinander saßen sie auf der gemauerten Bank, ganz in Gedanken versunken, bis Meret schließlich das Schweigen brach.
»Du ahnst, weshalb ich hier bin?«
Sanna nickte.
»Ich muss endlich wissen, woran ich bin. Wie lautet deine Entscheidung?«
»Es gibt keine Entscheidung«, sagte Sanna langsam. »Wie kommst du nur auf die Idee, ich hätte jemals eine Wahl gehabt?«
Meret fuhr zu ihr herum.
»Natürlich liebe ich dich, Meret, schon vom ersten Tag an. Wie hätte ich dich nicht lieben können? Du bist ein Zauberwesen. Aber du musst dich vorsehen, versprich mir das! Viele Menschen sind nicht in der Lage, so viel Besonderheit zu ertragen, und können sich nicht anders helfen, als hässlich und gemein darauf zu reagieren.«
»Das hat Ruza auch immer gesagt. Dass ich mich vor den Menschen in Acht nehmen soll. Und dass sie traurig ist, weil sie mich nicht länger beschützen kann.«
»Deine Mutter war eine kluge Frau«, sagte Sanna, »auch wenn sie selbst stets das Gegenteil behauptet hat.«
»Ich weiß. Aber ich bin nicht hier, um über Ruza zu reden.«
Meret nahm Sannas Hand. »Mit dir will ich endlich zusammen sein — ganz.« Sie sah ihr offen ins Gesicht. »Du bist schon so lange in meinen Träumen bei mir«, murmelte sie. »Ich möchte wissen, ob du dich in Wirklichkeit auch so anfühlst.«
»Warum probierst du es dann nicht einfach aus?«, fragte Sanna lächelnd und nahm sie in die Arme. Sie küsste sie auf die Wangen, ganz zart, und küsste sie wieder, diesmal auf den Mund, behutsam und innig.
Ein sanfter Schauer durchlief die junge Seherin.
»Ich hatte nicht mehr gedacht, dass es doch noch geschehen würde«, sagte sie leise zwischen zwei Küssen. »Aber es musste sein. Mein ganzes Leben lief darauf zu. Wir beide gehören zusammen.«
»Schscht, nicht so viel denken!«, sagte Sanna. Eng umschlungen bewältigten sie die kurze Strecke zum Bett. »Dazu ist später noch Zeit genug.« Sie streichelte Merets Brüste, ihre Schultern, Arme und Hüften. Als sie versuchte, das Kleid nach oben zu schieben, spürte sie, wie Meret sich in ihren Armen verkrampfte.
»Ich möchte nicht, dass du es siehst«, sagte die Seherin. »Ich habe inzwischen gelernt, meinen Körper zu lieben — aber nicht das. Für mich ist es wie ein Fremdkörper. Am liebsten würde ich es für immer loswerden.«
»Was ist das denn für ein Unsinn?« Spielerisch knabberte Sanna an Merets Ohrläppchen. »Du bist, die du bist, und wer immer dir das Gegenteil einreden möchte, ist ein Dummkopf, der deine Nähe nicht verdient.« Ihre Hände wanderten unaufhaltsam weiter, obwohl Meret den Atem anhielt.
»Ich bin keine richtige Frau«, wehrte sie ab. »Ich will dich nicht enttäuschen oder gar abschrecken.«
»Zwei segnende Kräfte walten«, sagte Sanna, »die Große Göttin und der Große Gott. Wenn sie sich liebend umfangen, wird die Welt erschaffen. In dir sind beide Kräfte vereinigt, das ist eine gewaltige und seltene Auszeichnung der Götter.
Denn nur da, wo diese Kräfte einander in Liebe zugetan sind, herrscht Friede. Krieg dagegen entsteht, wo sie sich voneinander abwenden.« Sie lachte leise. »Und sieht das, was wir beide hier gerade tun, vielleicht nach Kampf oder Krieg aus?«
»Heißt das, du ...«
»Das heißt, das ich dich liebe, nicht dein Geschlecht. Du bist wunderschön. Und so vollkommen, dass es mir fast den Atem verschlägt.«
Sie küsste sie wieder, diesmal voller Leidenschaft, und Meret spürte, wie Wogen von Glück sie durchliefen. Die ganze Nacht hielten sie sich in den Armen. Sie schliefen beide kaum, sondern dösten zwischendrin in einem fiebrigen Dämmerzustand, bis die ersten Vogelstimmen sie weckten.
»Ich möchte, dass du die Tempelinsel verlässt«, sagte Sanna, sobald Meret ganz wach geworden war.
»Du schickst mich fort, nach dieser Nacht?«
»Gerade nach dieser Nacht«, sagte Sanna sehr ernst. »Und ich schicke dich nicht fort. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass du dich auf den Weg machst. Finde heraus, wer du wirklich bist. Erst dann kannst du ganz bei mir
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