Isis
dich. Ich bin ganz sicher. Ich muss nur lange genug nachdenken, dann fällt es mir bestimmt ein.«
Die Dämmerung war angebrochen. Weiches Licht hüllte den Markt ein, der sich nach und nach leerte.
»Das halte ich für keine besonders gute Idee«, sagte Meret, die sich immer unbehaglicher in seiner Nähe fühlte. Dieser Mann war so drängend, so direkt, so fordernd. Und dennoch besaß er eine unerklärliche Anziehungskraft, gegen die sie sich zu wehren versuchte. Verwirrende Gefühle stürmten auf sie ein, und sie wusste nicht, ob sie weglaufen oder bleiben sollte.
Warum hatte sie den Schutz der Tempelinsel überhaupt hinter sich gelassen - und die Geliebte? Mehr denn je zuvor sehnte sie sich nach Sannas sanften Umarmungen.
»Weshalb?«, insistierte er. »Weil du schon verheiratet bist? Oder hast du etwa Angst vor mir?«
Meret schüttelte stumm den Kopf.
Zu ihrer Erleichterung kam Pacher zurück. Misstrauisch beäugte er zuerst den jungen Mann, dann sie.
»Belästigt er dich etwa noch immer? Soll ich ihm Beine machen?« Drohend erhob er seinen Arm.
»Ich kenne dich«, rief Khay noch einmal furchtlos.
»Ich kenne ihn wirklich nicht«, sagte Meret. »Aber er scheint sich ganz sicher zu sein. Lass ihn in Frieden! Es war ein langer, heißer Tag. Ich würde mich gern ausruhen.«
»Dann wollen wir mal«, sagte Pacher. »Höchste Zeit, dass wir nach Hause kommen!«
Meret folgte ihm schweigend. Aber als sie neben Ruzas Bruder den leeren Markt überquerte und versuchte, den Kamelfladen auszuweichen, spürte sie bei jedem Schritt Khays bohrenden Blick zwischen ihren Schulterblättern.
Die Lungen kratzig von Staub, Hände und Knie vom Kriechen aufgescheuert, so schob Khay sich leise fluchend als Erster durch den dunklen Stollen. Ihm folgten, bäuchlings oder wenn es die Höhe erlaubte auf allen vieren, die Männer aus Keftiu, die Nezem ihm geschickt hatte. Es waren drei kräftige Kerle, die in ihrer Heimat als Bergarbeiter gearbeitet hatten, entfernte Vettern Selenes. Besonders geheuer allerdings war Khay keiner von ihnen. Es lag nicht daran, dass die Fremden seine Sprache nur lückenhaft kannten, denn die Verständigung klappte mit Handzeichen und ein paar Satzbrocken verblüffend gut. Eher machte ihm zu schaffen, dass er sich in ihrer Gegenwart selber wie ein Fremder fühlte, obwohl sie taten, was er verlangte, und er keine Angst haben musste, dass sie irgendetwas ausplauderten.
Das Siegel der Grabkammer, die er für den neuen Beutezug ausgewählt hatte, war unversehrt geblieben, ein wichtiger Bestandteil von Khays Strategie. Denn seit Montemhet die Nekropolensiegel immer wieder kontrollieren ließ, wäre es Wahnsinn gewesen, sich auf diese Weise Eingang zu verschaffen. Ihn störte nicht besonders, dass immer mehr Wachen abkommandiert wurden, denn er wusste, dass ihre Aufmerksamkeit erlahmte, sobald es dunkel wurde. Manche der abergläubischen Medjai, aus denen die Polizeitruppe hauptsächlich bestand, weigerten sich regelrecht, auf dem Westufer Dienst zu tun, wo die Sonne allabendlich starb, weil sie befürchteten, die Toten könnten sich aus den Gräbern erheben, sie beim Genick packen und es umdrehen wie das einer Gans.
Und selbst die, die sich schließlich dazu bereit fanden, ließen lieber an den Feuerstellen den selbst Gebrannten kreisen, als zu zweit oder gar allein im Dunklen auf Streife zu gehen.
Deshalb hatte Khay nach einer längeren Abstinenz seine nächtlichen Aktivitäten wieder aufgenommen, ja sogar verstärkt. Dabei kam ihm entgegen, dass Nezem sich schnell einsichtig gezeigt hatte.
»Ich bin einverstanden«, sagte der Erste Bildhauer, als Khay seine Forderungen vorbrachte. »Von mir aus kannst in Zukunft du die Unternehmungen leiten.«
»Und ich möchte mehr von der Beute. Mit ein paar Almosen lasse ich mich nicht länger abspeisen!«
Nezem wiegte den Kopf. »Du trägst das Hauptrisiko. Natürlich steht dir dann auch mehr zu. Vergiss dabei allerdings nicht, dass ohne einen guten Hehler nichts funktioniert.
Oder willst du die Ringe, Reifen und Edelsteine zwischen Feigen und Datteln ganz öffentlich auf dem Markt feilbieten?«
»Natürlich nicht! Und wer sagt mir, wo ich graben soll?«
»Kartenmaterial erhältst du nach wie vor von mir. Das ist allerdings der Part, auf den ich ab jetzt meine Aktivität beschränken werde. Ich wollte mich ohnehin schon längst zurückziehen.«
»Weshalb?« Die schnelle Kapitulation ließ Khay für einen Moment misstrauisch werden. »Weil dir alles wegen
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