Isis
presste sich die Hände an die Ohren. »Du lügst. Niemals hätte meine Mutter so etwas getan.«
»Ich lüge nicht!«, rief er laut. »Und sie hat es sehr wohl getan. Warum glaubst du, hat sie sich sonst umgebracht? Weil sie treu und anständig war? Sie war eine Ehebrecherin, deine heiß geliebte Mama!«
»Sie hat sich nicht umgebracht! Das weiß ich genau. Es war ein Unfall. Sie ist beim Baden ertrunken.«
»Das glaubst du?«, schleuderte er ihr entgegen, inzwischen vollkommen außer sich. »Dann frag mal deinen Vater! Vielleicht hat Nezem ja Mut genug, dir endlich die Wahrheit zu sagen.«
»Du lügst! Nie wieder will ich etwas mit dir zu tun haben, hörst du?«
Blind vor Tränen lief sie zur Tür. Fast schon draußen, schien Isis es sich noch einmal zu überlegen. Sie rannte zurück zu dem Hocker und packte die Skulptur.
»Ich hasse dich!« Ihr Spuckestrahl traf ihn mitten auf der Wange. »Du, du ... Scheusal!«
Langsam kroch das Grauen in Khay hoch. Vor dem, was er getan hatte. Und vor dem, was er jetzt tun musste.
oooo
Die Türe zum Gartenhaus war zu. Trotzdem bemerkte Basa sofort beim Aufschließen, dass etwas nicht in Ordnung war. Iucha, den er herbeirief, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und beteuerte, von nichts zu wissen.
»Da muss sich jemand zu schaffen gemacht haben, während ich auf der Bestattung meines Vetters war«, wiederholte er ein ums andere Mal, was Basa nur noch zorniger machte.
»In deiner Verwandtschaft sterben mir die Leute in letzter Zeit ein bisschen zu häufig. Falls sich das nicht ändert, sehe ich mich gezwungen, unsere Abmachungen zu ändern.«
»Und deine Söhne? Haben die denn nichts mitbekommen?«, fragte Iucha scheinheilig.
»Anu verbringt seine Abende lieber mit seiner Schreibbinse als im Haus seines Vaters«, lautete die bittere Antwort. »Und welche Wege Khay geht, will ich mir lieber erst gar nicht vorstellen. Und jetzt lass mich allein! Morgen sorgst du als Erstes dafür, dass die Tür repariert wird - und zwar so, dass ich künftig nicht mehr mit ungebetenem Besuch zu rechnen habe.«
Er ließ sich auf das Bett sinken und schloss die Augen.
Vor ihm entstand das Bild Selenes, das ihn seit einiger Zeit auch in seinen Träumen verfolgte, aus denen er gehetzt und schweißgebadet erwachte. Hatte er versehentlich auf irgendeine Weise die Tote gerufen?
»So haben wir nicht gewettet, Fischdämonin!«, sagte er leise. »Du gehörst mir. Nicht ich dir. Ich hoffe, du hältst dich daran.«
Er streckte die Hand nach der Isis-Statue aus - und griff ins Leere. Der Schreck war so groß, dass er sich für einen Moment nicht mehr bewegen konnte. Schließlich erhob er sich, noch immer unsicher auf den Beinen, und zwang sich, den ganzen Raum gründlich zu durchsuchen. Basa kannte das Ergebnis, noch bevor seine Nachforschungen abgeschlossen waren. Nur die Statue fehlte. Alles andere war auf seinem gewohnten Platz.
Langsam wie ein alter Mann verließ er das Gartenhaus, Iucha, der noch mit einem Bierkrug seinen Weg kreuzte, scheuchte er zurück in den Anbau, der die Dienstbotenräume enthielt. Die Treppenstufen zu den Zimmern seiner Söhne empfand er zum ersten Mal als Last.
Der kleine Raum, den Anu bewohnte, war blitzblank und aufgeräumt. Sauber gefaltet lagen die Decken auf dem Bett.
Auf einem kleinen Schemel lag seine tragbare Schreibpalette.
Daneben sein zweiter Federkasten, den er schon seit der Schulzeit mit sich herumschleppte. Basa ließ ihn aufschnappen. Frisch angespitzte Rohrfedern, je ein Gefäß mit roter und schwarzer Tinte.
Er bückte sich, um unter das Bett zu schauen. Ein paar Ledersandalen, die Anu längst zu klein geworden waren, war alles, was er entdecken konnte. Ebenso wenig gab die Truhe Aufschluss. Ein Stapel gefalteter Schurze, ein paar Hemden.
Ganz anders sah es bei Khay aus. Sandalen und Kleidung lagen unordentlich in einer Ecke, in der anderen stand ein halb voller Bierkrug neben angeschimmelten Brotfladen. Auch hier öffnete Basa die Truhe, konnte aber nichts entdecken.
Mit einem Ausdruck des Ekels wollte er schon das Zimmer verlassen, als er plötzlich innehielt. Auf dem Boden zeichnete sich eine feine Staublinie ab. Er verfolgte ihre Spur bis zur Wand, wo sie abrupt endete. Jetzt war der Baumeister in ihm geweckt. Mit dem Knöchel klopfte er die Ziegel ab und erkannte am unterschiedlichen Klang sehr rasch, dass es da einen Hohlraum gab.
Das Loch war größer, als die Öffnung vermuten ließ. Ungeduldig riss er das Sackleinen
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